Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
„Ich habe jeden Abend mehr zu danken als zu meckern“. Den Weihnachtsbrief einer älteren Dame mit diesen Zeilen habe ich immer noch auf meinem Schreibtisch liegen. Im Sommer letztes Jahr war sie nur kurz von zuhause weg. Als sie wieder nach Hause gekommen ist, ist Wasser aus den Wänden gekommen. Im Obergeschoss war eine Leitung defekt. Das Wasser hatte sich wohl über Wochen seinen Weg bis in die untersten Stockwerke gesucht. „Das Chaos könnt ihr euch vorstellen“, schreibt sie. Das Haus war unbewohnbar geworden, die ältere Dame zog für Monate in ein Hotel. Und kurz vor Weihnachten kam die schöne Nachricht: Weil viele mit angepackt haben, ist sie endlich wieder in ihr Zuhause eingezogen!
Mich hat beeindruckt, dass die Frau nie geklagt hat. Sie schreibt: „Ein solches Drama gibt auch die Chance, auszumisten und wegzugegeben“. Sie wusste, dass es viel schlimmere Schicksale gibt. Und sie schreibt, was ihr Halt gibt: „Alles in Gottes Hände legen und alles in Gottes Händen lassen. Er macht es gut“. Die Dame hat nicht nur gesehen, was sie an geliebten Erinnerungen loslassen muss. Für sie war darin auch die Chance, sich auf das Wesentliche zu konzentrieren. Das hat sie innerlich freigemacht. Ihr Fundament war der Glaube an Gott und liebe Menschen, die sie unterstützen. Das hat ihr Mut gemacht, auch in ihrem Alter noch mal neu anzufangen.
Wie stark mein persönlicher Glaube gerade in einer solchen Situation wäre, weiß ich nicht. Aber ich wünsche mir, dass ich aus meinem Glauben heraus auch die Kraft habe, Altes loszulassen, das ich nicht unbedingt brauche. Und neu anzufangen. Mit der festen Überzeugung, dass ich von Gott getragen bin. Und von Menschen, die es gut mit mir meinen. Auch heute wieder.
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