SWR3 Gedanken
„Ach, das habe ich überhaupt nicht über ihn gewusst! Danke, dass sie uns das erzählt haben. So durfte ich ihn noch einmal ganz anders kennenlernen.“ Eine Frau hatte mich nach einer Beerdigung, die ich als Pfarrerin gehalten habe, mit diesen Worten angesprochen.
Wenn ich ein Menschenleben verabschiede und mit der Familie Revue passieren lasse, fällt mir immer wieder auf, wie unglaublich facettenreich unser Leben ist und wie unmöglich es ist, jemanden ganz und gar zu kennen. Je mehr Leute dann beim Beerdigungsgespräch dabei sind, desto mehr Details kommen ans Licht. Die eigenen Kinder wissen oft wenig von der Jugend des Vaters. Die Geschwister können alte Geschichten erzählen, die die Ehefrau noch nie gehört hat. Schulfreundinnen erinnern sich an lustige Anekdoten.
Es ist spannend, wie man dann sehen kann, wie die Erfahrungen, die ein Mensch im Laufe eines Lebens macht, ihn verändern. Wir sind nie ein Leben lang dieselben.
Aber egal, wie viel Geschichten über einen Menschen vor einer Beerdigung erzählt werden: Das ist vor allem das, was andere in einem Menschen gesehen haben. Und das ist vor allem das Äußere: Unser Äußeres bestimmt mit, was jemand von uns denkt und ein Mensch, der immer lächelt und auf Leute zugeht, wird ziemlich sicher immer für happy und selbstbewusst gehalten.
Dazu kommt: Je nach Situation, Ort und Gesellschaft zeigen wir eine Seite von uns und verbergen vielleicht eine andere.
Wer sind wir wirklich?
Beerdigungen haben mir deutlich gemacht: Du kannst einen Menschen immer wieder neu kennenlernen. Du weißt nie alles. Und du solltest niemanden in ein vorgefertigtes Bild quetschen, denn wir sind viel mehr als das.
Allein Gott weiß, wer wir wirklich sind. Und das ist ein schönes Geheimnis.
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