SWR1 Begegnungen

05JAN2025
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Fabian Maysenhölder Fotoatelier Ebinger

Genau hinschauen. Das hat sich Fabian Maysenhoelder vorgenommen. Er beschäftigt sich als Pfarrer und freier Journalist mit der Wirkung von Sekten - und schon bei diesem Begriff muss man genauer hinschauen. Er benutzt das Wort selbst nicht so gern 

…wenn man von einer Sekte spricht, dann hat man sofort so ein ganz klares Bild, eine Schublade, in die man eine Gruppe reinsteckt. Und die Wirklichkeit ist aber oft sehr viel komplexer und ich finde es in vielen Fällen wenig zielführend, eine Gruppe als Sekte zu beschreiben, weil das einen dann oft daran hindert, noch einen Schritt weiterzugehen und zu gucken, was ist eigentlich das Problematische an dieser Gruppe?

In seinem Podcast „secta“ verwendet er darum lieber Bezeichnungen wie „neureligiöse Gruppierungen“ oder „religiöse Sondergemeinschaften“. In jeder Folge nimmt Fabian Maysenhölder eine solche Gruppierung unter die Lupe.

Also ich schaue mir eine Gruppe an in jeder Folge und beschreib´ erst mal: was ist das für eine Gruppe, woran glaubt die, wie ist die entstanden. Und versuch dann herauszuarbeiten, was kann da potentiell aus psychologischer oder soziologischer Sicht problematisch sein, die Gruppenstrukturen, die Dynamiken, die da entstehen.

Absolute Objektivität ist unmöglich – das weiß auch Fabian Maysenhölder. Daher trennt er in seinem Podcast klar zwischen der Beschreibung und einer Bewertung im zweiten Teil. Knapp über 50 Gruppierungen und Bewegungen hat er sich so schon angeschaut, darunter bekannte Gemeinschaften wie die Mormonen oder die Zeugen Jehovas, aber auch viele eher unbekannte Gruppen wie die Sonnentempler oder die christlich-essenische Kirche. Gibt es dabei etwas, das die Gruppen verbindet?

Ja, die haben viele Sachen gemeinsam. Und ich würde sagen, man kann schon so ein paar Glaubenssätze definieren, die problematisch sind. Zum Beispiel das Gottesbild, das vermittelt wird. Also wenn ich einen strafenden Gott vermittle, der alles sieht und letztlich auch meine Sünden bestraft und mich in die Hölle schmeißt, wenn ich mal was falsch mache und es aus Versehen nicht bekenne. Und das ist so eine latente Furcht, die da immer mitschwingt, dass ich ja nichts falsch machen darf.

Manche Menschen suchen sich Gruppen, in denen klare Regeln gelten und in denen klar definiert ist, was gut und böse ist.  Das gibt Halt, Orientierung, Struktur. Das kann Fabian Maysenhölder durchaus anerkennen. Schwierig wird es für ihn an anderer Stelle.

Das Problem entsteht dann, wenn eben sich die Bedürfnisse von einer Person auch ändern. Und dann ist natürlich die Frage, wie geht die Gruppe jetzt damit um, dass diese Person vielleicht sich dann nicht mehr so gut fühlt und diese Gruppe vielleicht verlassen will? Da entstehen dann oft diese Konflikte und die Probleme, wo sich dann auch in vielen Fällen zeigt, wie problematisch eine Gruppe ist, tatsächlich wie sie damit umgeht.

Gruppen, die Druck auf Menschen ausüben, die ihre Gemeinschaft verlassen möchten:  ist das ausschließlich ein Problem von neureligiösen Gruppen? Fabian Maysenhölder meint nein. 

Und deswegen finde ich den Begriff Sekte auch noch mal so schwierig, weil ich sagen würde, es gibt auch in der evangelischen und katholischen Kirche Gemeinden, die problematische Strukturen haben. [...] Die gehören zu unserer Kirche dazu und wir müssen gucken, wie sehen diese Strukturen genau aus und was können wir dagegen tun, dass diese Strukturen entstehen und hier stattfinden?

Fürs erste nehme ich mit, dass der Begriff Sekte oft wenig hilfreich ist, weil er die Welt in Gut und Böse unterteilt und die Realität oft komplexer ist. Im zweiten Teil geht es darum, woran man eine problematische religiöse Bewegung erkennt und ob man nicht auch etwas Gutes von ihr  lernen kann.

Die evangelische Kirche gibt sich jedes Jahr ein Motto aus der Bibel. 2025 heißt diese Jahreslosung: „Prüfet alles und behaltet das Gute“. Mich interessiert: Wie kann man religiöse Gemeinschaften – die sogenannten Sekten, aber auch die eigene Kirchengemeinde vor Ort prüfen? Woran erkennt man, dass eine Gemeinschaft problematische Züge hat?

Was ich immer schwierig finde, ist, wenn ich das Gefühl hab, ich darf in der Gruppe, in der ich bin, nicht alle Fragen stellen. Das wäre für mich so ein Warnsignal, wenn es irgendwelche Tabus gibt, wo ich mich wirklich nicht traue nachzufragen, weil ich aus irgendeinem Grund Angst vor Konsequenzen habe.

Fabian Maysenhölder macht aber gleichzeitig auch darauf aufmerksam, dass eine negative Einzelerfahrung noch nicht gleich eine ganze Gruppe als negativ kennzeichnet.

Und das macht es alles so schwierig. Weil natürlich gibt es Menschen, die in die Gruppe reinkommen und ganz schlechte Erfahrungen mit der Gruppe machen, aber alle anderen machen keine schlechten Erfahrungen in der Gruppe. Und dann gibt es Gruppen, wo [...] alle Menschen ähnliche Dinge erzählen. Und alle sagen Ich habe mich da nicht wohlgefühlt, weil dieser Druck ausgeübt wurde, weil ich irgendwie ein negatives Lebensgefühl hatte. Und alle erzählen die gleichen Geschichten. […] Dann würde ich sagen, dann ist das ein deutlicher Hinweis darauf, dass es problematisch ist.

Gar nicht so einfach, das mit dem prüfen. Vielleicht ist es auch hilfreich, den Weg andersherum zu gehen und zu fragen: Was zeichnet eine Glaubensgemeinschaft aus, die Menschen guttut?

Also ich glaube schon, dass eine gute Gruppe sich dadurch auszeichnet, dass sie den Menschen, die in dieser Gruppe unterwegs sind, ein positives Lebensgefühl vermittelt, dabei hilft, positiv und gut durchs Leben zu gehen. Und es kann in ganz vielen Facetten sein. Das kann die Gemeinschaft sein, die mir in der Gruppe wichtig ist. Wo ich weiß, da habe ich Anschluss, da habe ich Freunde, da kann ich jederzeit hinzukommen. Das kann sein, dass ich irgendwelche Inputs kriege, die mir gut tun im Leben.

Prüfet alles und behaltet das Gute – heißt das vielleicht auch, dass man sich auch bei Glaubensgemeinschaften, die man für problematisch hält, etwas Gutes abschauen kann?

Also was zum Beispiel ganz oft bei solchen Gruppen ist, ist die Willkommenskultur. Da würde ich sagen, da kann man als Kirche auch davon lernen und sagen: Also, wenn Menschen hierherkommen, in die Kirche, dann sitzen die eine Stunde lang im Gottesdienst und haben danach mit keinem Menschen ein Wort gewechselt, obwohl sie das erste Mal da sind, und keiner hat sie angesprochen. […] Wenn ich in so eine problematische Gruppe gehe, dann kommen da Leute auf mich zu, die begrüßen mich. Die sagen schön, dass du da bist, und laden mich gleich zu irgendwas ein. […] Da kann man schon auch was davon lernen, also wie wir Menschen ansprechen.

Es bleibt also dabei: genau hinschauen. Wer offen prüft, kann oft etwas Gutes entdecken, um dann den eigenen Weg weiterentwickeln, ohne die problematischen Strukturen zu übernehmen.

 

Die Spur des Bösen

 

Secta | Der Podcast über Sekten und neureligiöse Bewegungen

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41348
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