SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Die kleine Familie aus der Weihnachtskrippe. Die „heilige Familie“ wird sie auch genannt! Für was musste sie nicht alles herhalten. Ich erinnere mich dunkel an Predigten, die ich als Jugendlicher in unserer Pfarrkirche anhören musste. In denen der Pfarrer uns von der Kanzel herab diese Kleinfamilie aus der Krippe, Maria, Josef und den neugeborenen Jesus, als strahlendes Idealbild von Familie pries. Garniert mit Klischees. Eine Familie, in der sich die Partner inniglich zugetan sind und in der kein böses Wort fällt. In der Kinder brav und angepasst sind. In der es natürlich fromm zugeht, wo gebetet wird und so weiter. Wenn ich heute darüber nachdenke, dann merke ich erst, wie sehr sich solche Bilder im Kopf festgesetzt haben. Die sogenannte „heilige“ Familie als abgehobenes, kaum erreichbares Ideal. Weil uns da eben nicht eine „heilige“, sondern eine „heile“ Familie vorgestellt wurde. Jedenfalls das, was man sich damals darunter vorstellte. Denn natürlich wusste der Pfarrer, wie auch jeder in der Kirche, dass es in unseren eigenen Familien nicht nur „heil“ zuging. Dass es da auch mal Streit gab und böse Worte. Dass es zwischen Eltern und Kindern immer wieder auch heftig knirschte. Und dass Glück und Unglück manchmal verdammt nah beieinanderliegen konnten. Was da in höchsten Tönen besungen wurde, erinnerte deshalb oft mehr an die strahlenden Familien aus der Fernsehwerbung, als an die Realität. Verklärte Familienbilder, an denen man nur scheitern kann. Die Abneigung gegen diese Vorstellung einer „Heiligen Familie“ spüre ich noch heute.
Dabei hätte man nur in die Bibel schauen müssen um festzustellen, dass auch die Familie von Jesus alles andere als makellos war. Zumindest, wenn man den wenigen Erzählungen folgt, in denen es um sie geht. Da setzt sich etwa der jugendliche Jesus bei einem Besuch der Familie in Jerusalem von seiner Familie ab, ohne ein Wort zu verlieren (Lk 2,41-51). Die Sorge der Eltern kann man sich vorstellen. Und als dieser Jesus dann erwachsen ist, da kanzelt er vor seiner Anhängerschaft seine Mutter und Geschwister einmal so schroff ab, dass man sich beim Lesen noch heute fremdschämen möchte (Lk 8,19-21). Nein, auch die biblischen Geschichten zeichnen keine idyllisch heile Welt. Die Familie Jesu, sie war wohl eine ziemlich normale jüdische Familie ihrer Zeit. Kaum anders, als Familien überall auf der Welt. Und das ist dann doch irgendwie wieder ganz beruhigend.
Es gibt nur wenige Geschichten in der Bibel, die die Familie von Jesus überhaupt erwähnen. Und die wollen nicht idealisieren oder verkitschen. Das kam erst viel später. Die Schriftsteller der Bibel hatten keine fromme Homestory im Sinn. Ihnen ging es nur um diesen Jesus. Darum, wie außergewöhnlich er gewesen ist, seit seiner wundersamen Zeugung. Davon wollten sie erzählen. Und deshalb ist an diesen Familiengeschichten nur wenig historisch. Denn wie es tatsächlich gewesen ist, mit seiner Geburt und Kindheit, das wissen wir einfach nicht.
Und trotzdem rührt sie viele Menschen an, diese „Heilige Familie“. Bis heute. Sie steht in trauter Eintracht in vielen Wohnstuben unterm Weihnachtsbaum. Sie steht in Kirchen und auf Weihnachtsmärkten. Und folgt man den biblischen Erzählungen, dann ist sie vielleicht gerade deshalb anschlussfähig für Menschen von heute, weil sie kein fernes Idealbild ist. In dieser „Heiligen Familie“ muss ein Vater sich damit abfinden, dass er nicht der leibliche Vater des Kindes ist – und nimmt es trotzdem wie sein eigenes an. Da kommt ein Kind nicht in Saus und Braus zur Welt, sondern in armseliger Umgebung. Da muss eine junge Familie schon kurz nach der Geburt des Kindes fliehen, weil ihr Leben in höchster Gefahr ist. In dieser „Heiligen Familie“ können sich viele wiederfinden, noch heute. Und auch in den weiteren Erzählungen der Bibel scheint die Realität von heute auf. Von Kindern, die ihre Eltern an den Rand der Verzweiflung bringen. Von erwachsenen Söhnen und Töchtern, die sich von ihren alt gewordenen Müttern und Vätern distanzieren. Es gibt so vieles, das nicht heil ist. Die heile Welt, von der so viele träumen, hat es so nie gegeben. Und wer das Glück hat, seine Welt gerade heil erleben zu dürfen, kennt trotzdem auch die schweren und schmerzhaften Seiten.
Doch bei allem, was geschieht, bleibt diese Kleinfamilie aus der Bibel trotzdem die „Heilige Familie“. Weil Gott dabei ist. Unauffällig. Im Dazwischen. Heilige, das waren für die frühe Christenheit nämlich nicht besondere Gestalten, die man beweihräucherte und auf Sockel und Podeste stellte. Heilige, so nannte man einst alle, die glaubten. Jede und jeder also, der sich entschieden hatte, mit Gott durchs Leben zu gehen. Und deshalb bin ich sicher: Heilige Familien, die gibt’s auch heute. Selbst da, wo es im Leben nicht immer nur heil zugeht.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41347