Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Heute, am 4. Januar, ist Internationaler Welt-Braille-Tag. Da wurde nämlich in Frankreich Louis Braille geboren. Vor 200 Jahren hat er im Alter von gerade mal 16 die Braille-Blindenschrift erfunden. Es hat bis nach seinem Tod gedauert, bis die sich flächendeckend durchgesetzt hat. Aber bis heute ist sie von entscheidender Bedeutung für blinde und sehbehinderte Menschen, auch im Computerzeitalter noch.
Mich persönlich fasziniert an dieser Erfindung schon immer ein bestimmtes Detail: Als Braille drei Jahre alt gewesen ist, da hat er durch einen schrecklichen Unfall sein Augenlicht verloren – durch eine Ahle, ein spitzes Werkzeug zur Bearbeitung von Leder. Das war in der Schusterwerkstatt seines Vaters. Und genau in dieser Werkstatt hat Braille dann später seine Blindenschrift entworfen – ausgerechnet mit der spitzen Ahle. Mit diesem schicksalsträchtigen Gegenstand hat er Vertiefungen in Leder gedrückt und dabei ein bereits bekanntes System aus Punkten entscheidend weiterentwickelt. In ein- und demselben Instrument lag also beides beieinander, dramatisches Unglück und zukunftsweisender Erfolg.
Ich denke da an eine geheimnisvolle Geschichte aus der Bibel [4. Mose 21,4-9], in der es ganz ähnlich ist. Da wird erzählt, wie die Menschen in der Wüste von giftigen Schlangen bedroht werden. Sie bitten Gott um Rettung. Und diese Rettung kommt ausgerechnet in Gestalt einer großen Schlange. Die ist aus Metall und wird an einer Stange in die Luft gehalten. Wer die Schlange anschaut, dem hilft sie, die tödlichen Schlangenbisse zu überstehen. Unglück und Schutz – im Symbol der Schlange steckt beides zugleich.
Die Geschichte von der rettenden Schlange und Louis Brailles bahnbrechende Erfindung ausgerechnet mit Hilfe der Schusterahle – beides ermutigt mich. Ich will – wenn möglich – Schweres in meinem Leben nicht einfach nur verdrängen und weitermachen wie bisher. Sondern auch in Krisen fragen, was daran mich weiterbringen könnte. Wo Gott mir durch das Schwere hindurch neue Möglichkeiten schenkt. Vielleicht ist das ja auch jetzt, am 4. Januar, noch so was wie ein Vorsatz fürs neue Jahr.
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