SWR Kultur Wort zum Tag
Morgen in sieben Wochen wird ein neuer Bundestag gewählt. Dort sitzen die Frauen und Männer, die Entscheidungen treffen, die für unser Land, aber auch für jeden einzelnen maßgebend sind. Und es geht dort auch um unsere Kultur, darum, wie wir uns als Nation nach außen präsentieren. Ich werde darauf achten, dass ich der Partei meine Stimme gebe, die in ihrem Programm das am meisten beherzigt, wovon ich als Christ überzeugt bin.
Vor zwanzig Jahren hat der damalige Bundespräsident Horst Köhler in Tübingen eine programmatische Rede[1] gehalten. In den Mittelpunkt seiner Rede hat Köhler die Nächstenliebe gestellt. Oder die Solidarität, wie er auch sagt. Zum Schluss zitiert er das Gleichnis vom barmherzigen Samariter, um an einem Bild festzumachen, was er meint, wenn er von der Liebe zum Nächsten spricht. Er sagt dazu wörtlich: „Am Ende geht es immer auch um die Haltung jedes Einzelnen. Keine Politik und keine staatliche Institution werden jemals die spontane Hilfsbereitschaft überflüssig machen.“ Bundespräsident Köhler sagt, dass diese Haltung die Kultur in Europa über Jahrhunderte geprägt hat, dass wir aber auch darauf achten müssen, diese christliche Tradition zu bewahren.
Wer ist nun mein Nächster?[2] Als Jesus diese Frage gestellt bekommt, hat er darauf mit dem Gleichnis vom Samariter geantwortet. Der Samariter, ein Fremder in Israel, kümmert sich um den ausgeraubten Verletzten. Die Antwort ist also klar: Mein Nächster ist nicht nur der, der einen deutschen Pass vorweisen kann. Es wird auch nicht abgewogen, ob einer schon alt ist und womöglich ohnehin bald stirbt. Geschlecht, Religion, Rasse – alle diese Faktoren spielen keine Rolle. Mein Nächster ist immer der, der gerade in meiner Nähe ist. Das kann einer sein, der im Zug neben mir sitzt. Der Kollege mit dem Schreibtisch mir gegenüber. Der mit dem platten Reifen am Straßenrand. Der Freund, den ich schon abgeschrieben hatte, der sich nach jahrelangem Schweigen wieder meldet. Jeden Tag begegnen mir Nächste. Und manchmal brauchen sie meine Hilfe. Dann bin ich dran, wenn ich es so mache wie der Samariter, die Kultur pflege, die auf ihn zurückgeht.
Am 23. Februar ist Bundestagswahl. Und ich gehe wählen. Das sehe ich als meine solidarische Pflicht, um mitzubestimmen, welche Kultur künftig im Bundestag und in unserem Land herrscht. Ich werde meine Stimme denen geben, für die Solidarität kein Fremdwort ist. Denen, die immer auch nach den Armen fragen, wenn sie überlegen, woran sie ihre Politik ausrichten.
[1]https://www.weltethos.org/wp-content/uploads/2022/08/Weltethos-Rede-4-Koehler-2004.pdf
[2] Lukas 10,29
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41326