SWR Kultur Wort zum Tag
Ein Freund erzählt mir von seiner Mutter. Sie ist neunzig Jahre alt, kümmert sich aber noch immer um das Grab ihres verstorbenen Mannes. Jeden Tag macht sie sich auf den Weg zum Friedhof und schaut nach dem Rechten. Mein Freund und seine Geschwister wohnen nicht weit weg. Sie würden die Grabpflege übernehmen und haben das auch ihrer Mutter gesagt. Aber sie will es selbst machen, solange sie kann.
Das ist eine klare Ansage der alten Dame gewesen. Inzwischen ist sie gestorben, und die Kinder kümmern sich um das Grab mit beiden Eltern. Bestimmt nicht, ohne immer wieder daran zu denken, was ihnen die Mutter hinterlassen hat – sozusagen als Erbe und Auftrag. Nämlich das auch wirklich zu tun, was man selbst tun kann und es nicht ohne Grund und vorzeitig auf andere abzuwälzen.
„Subsidiarität“ nennt sich dieses Prinzip. Es hat gerade in einem Staat, der föderalistisch aufgebaut ist wie Deutschland, einen besonderen Stellenwert. Was die untergeordnete politische Einheit übernehmen kann, also eine Stadt oder ein Landkreis, sollte eine höhere nicht an sich ziehen. Das gilt weiter bis hinein in die Familie und für den Einzelnen. Jede und jeder soll so viel wie möglich in eigener Verantwortung erledigen. Der Staat soll erst dann eingreifen, wenn ein Mensch wirklich Hilfe braucht. Gegenbeispiel: Die US-Amerikaner haben im Zweiten Weltkrieg versucht, die Verwaltung der Nazi-Herrschaft in Deutschland von innen heraus zu zerstören und dazu ein „Handbuch der Sabotage“ eingeschleust. Eine Anweisung darin lautet, den einzelnen Bürger vollends zu entmündigen und alle Anliegen möglichst schnell an die nächsthöhere Dienststelle zu überweisen. Das lähmt den Staat und macht ihn irgendwann handlungsunfähig.
Ursprünglich kommt das Prinzip der Subsidiarität aus der katholischen Soziallehre. Es hat dort eine noch grundsätzlichere Bedeutung: Jeder Mensch hat das Recht, selbst zu bestimmen, wie er leben will. Er soll frei und umfassend seine Fähigkeiten entfalten und so der Gemeinschaft dienen. Umgekehrt trägt jeder auch so weit als irgend möglich Verantwortung für die Bereiche, in denen er lebt. Schule, Arbeitsplatz, Familie, Kirche – immer bin ich zuerst selbst gefragt mit meinem Engagement.
Am 23. Februar muss ich mich entscheiden, wen ich wähle. Und da spielt es für mich eine entscheidende Rolle, ob der Kandidat mich so sein lässt, wie ich bin. Ob er die unterschiedlichen Begabungen der Menschen in seinem Wahlkreis gut zusammenführen will. Auch meine.
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