Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Wann habe ich zuletzt meine Meinung geändert? Also bei etwas, von dem ich wirklich überzeugt war? Die Politikaktivistin Claudine Nierth stellt genau diese Frage in den Raum. „Wann ändern wir unsere Meinung?“ Ihre Antwort: Sehr, sehr selten. Wenn wir mal von etwas überzeugt sind, dann ändern wir fast nie unsere Meinung. Sie sagt das auch von sich selbst. Obwohl sie sehr offen wirkt und viel über politische Meinungsbildung redet.
In der Regel wollen wir gar keine andere Meinung hören, sondern meist nur unsere eigene bestätigt sehen. Sich wirklich mit anderen Gedanken auseinanderzusetzen, ist erstens anstrengend und könnte zweitens ja am eigenen Weltbild rütteln.
Wie ist das bei mir? Wenn mich Menschen zum Beispiel in eine Diskussion über Kirche verwickeln, merke ich nach zwei Sätzen, ob sie wirklich eine andere Meinung hören wollen oder ob sie nur ihre eigene bestätigt haben wollen. Meistens ist es letzteres. Und wer weiß, wie oft ich selbst unbewusst auch so agiere.
Auf einmal verstehe ich besser, warum gesellschaftliche und politische Debatten aktuell oft ablaufen, wie sie ablaufen. Sie bilden mehr Fronten, als dass sie in einen offenen Dialog führen. Und diese Erkenntnis sorgt mich im Blick auf die anstehende Bundestagswahl. Wie sollen wir uns als Bürger in unserem Land auf etwas einigen, wenn Meinungsbildung so unbequem ist? Da ist es auch nicht verwunderlich, dass die Parteien scheinbar alle dasselbe sagen.
Die große Politik kann ich nicht ändern, aber Politik fängt, wie so oft, in meinem persönlichen Umfeld an. Ich muss erst die Argumente meines Gegenübers anhören und sie mit meinen eigenen Gedanken konfrontieren. Erst dann entscheiden und reden. Denn ein wirklicher Dialog kann nur geschehen, wenn ich die Möglichkeit offenhalte, dass der andere auch Recht haben könnte. Demokratie lebt davon, dass sich Menschen informieren und sich ihre Meinung bilden. Sie auch mal ändern. Nicht darauf beharren.
Mir persönlich fällt das auch nicht immer leicht. Ein Satz aus der Bibel hilft mir dabei. Mich jeden Tag daran zu erinnern. Er hängt bei mir zuhause eingerahmt an der Wand und ist mein persönliches Programm für die anstehende Bundestagswahl. Er heißt: Sei stets bereit zum Hören, aber bedächtig bei der Antwort[1]!
[1] Jesus Sirach 5,11
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