Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Amira kommt aus Afghanistan und durfte sechs Monate lang das Haus nicht verlassen. Sie ist Anfang zwanzig und aus ihrer Heimat geflüchtet, weil sie transsexuell ist. Dies offen bei ihr zuhause zu leben, kommt unter der Talibanregierung einem Todesurteil gleich.
Ich kann mir nicht im Entferntesten vorstellen, wie sie sich gefühlt haben muss, als sie hier angekommen ist. Mit fast niemanden konnte sie reden, weil ihre Muttersprache Paschtu hier fast niemand spricht.
Sie hätte wieder abgeschoben werden sollen. Zuerst nach Slowenien, weil sie dort zum ersten Mal die EU betreten hat. Dublin Abkommen. Darin ist geregelt, dass geflüchtete Menschen wieder dorthin zurückmüssen, wo sie registriert wurden. Außer es gibt einen Grund zu bleiben. Zum Beispiel trans zu sein, weil das in Slowenien auch gefährlich sein kann. Das Absurde: Genau das wurde in ihrem Asylverfahren nicht beachtet. Ich mache keiner deutschen Behörde einen Vorwurf. Bei der Menge an Anträgen, die sie jeden Tag bearbeiten müssen. Aber Gott sei Dank gibt es da auch noch Organisationen, die Menschen wie Amira in solchen Fällen begleiten und beraten.
Dadurch kam sie zu uns in die Hochschulgemeinde. Ins sogenannte Kirchenasyl.
Ein Freund von mir hat zu mir gesagt: „Spinnt ihr? Ihr stellt euch über den Staat und entscheidet selbst, was richtig und was falsch ist. Was nehmt ihr euch eigentlich raus?“. Ich hab ihm dann erklärt, dass keiner von uns irgendetwas für den Staat entscheidet. Was wir tun, ist: Wir verschaffen Amira Zeit. Zeit, damit ihr Antrag nochmals geprüft wird.
Nur darf Amira so lange eben unser Haus nicht mehr verlassen. Weil sie unter dem Schutz unserer Hochschulgemeinde steht. Wir als Gemeinschaft bürgen für sie. Noch eine Situation, die ich mir nicht vorstellen kann. Ich, der morgens einfach ins Büro kommt und abends wieder gehen kann. Sie nicht. Monatelang. Gottlob gibt es unzählige Studenten, die Amira fast täglich besuchen, mit ihr kochen und auch Deutsch lernen.
Jetzt, nach sechs Monaten ist das Kirchasyl ausgelaufen und Amira ist wieder ins ordentliche Asylverfahren in Deutschland aufgenommen worden.
Ich bin dankbar und auch ein wenig stolz, dass es in unserer Kirche Menschen gibt, die sich um Menschen wie Amira kümmern und ihr beistehen.
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