SWR4 Abendgedanken

10JAN2025
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Es gibt in meinem Alltag immer wieder Begegnungen und Gespräche, die mich ganz schön nachdenkliche machen. Neulich hat mich eine Frau gefragt: „Was bleibt denn noch, wenn einem nichts mehr bleibt?“ Sie ist Mitte sechzig und schwer an Krebs erkrankt – das zweite Mal schon. Am Anfang habe ich die Frage nicht richtig verstanden. Dann hat sie mir erklärt, was sie gemeint hat. Sie kann kaum noch was essen, nicht mehr richtig laufen. Alles ist mühsam geworden. Sätze wie „genieß die Zeit, die Du noch hast“ klingen in ihren Ohren wie Hohn.

„Was bleibt denn noch, wenn einem nichts mehr bleibt?“ Das hat mich wirklich zum Nachdenken gebracht.

In der Bibel gibt es die Geschichte von Hiob.  Ihm ist auch nichts mehr geblieben. Er hat die berüchtigten „Hiobs-Botschaften“ erhalten und alles verloren. Sein Haus, seinen Reichtum, seine Kinder und am Ende wurde er auch noch schwer krank. Hiob war ein frommer Mann. Am Anfang hat er sogar noch versucht, einen Sinn in seinem Schicksal zu erkennen. Aber dann war irgendwann der Punkt erreicht, wo ihm wirklich nichts mehr geblieben ist. Da ist ihm der Kragen geplatzt. Und er hat Gott sogar die Schuld dafür gegeben. Und er hat ihm nicht nur sein Leid geklagt – Nein er hat ihm die Ungerechtigkeit entgegengeschrien.

Das kommt in der Bibel immer wieder vor, dass Menschen Gott anklagen, wenn ihnen nichts mehr bleibt. Und vielleicht ist das auch wirklich das Einzige, was man tun kann, wenn einem nichts mehr bleibt. Gott anzuklagen. Ihm, wie dieser Hiob, alles an den Kopf zu werfen, was einem in so einer Situation in den Sinn kommt. Ihm zu sagen, dass es ungerecht ist. Dass ich das nicht verdient habe. Dass ich doch noch so viel vorhatte.

Deshalb war ich dann ein paar Tage später noch einmal bei der Frau und wir haben das gemeinsam probiert. Sie hat Gott alles an den Kopf geworfen, was ihr in dem Moment eingefallen ist. Ich hatte das Gefühl, dass es ihr danach ein bisschen besser gegangen ist. Nicht, weil sie plötzlich nicht mehr krank war, oder ihre Lage weniger trostlos. Auch nicht, weil sie Antworten auf ihre Fragen bekommen hätte. Sondern weil sie ihre Wut wenigstens jemand sagen konnte. Gott schimpfen konnte. Anstatt mit dem Gefühl allein zu bleiben, dass ihr Schicksal Gott und der Welt egal wären.

Auch wenn man das Gefühl hat, dass einem nichts mehr bleibt. Gott bleibt. Immer.

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