Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP
Früher war mehr Lametta... War das wirklich so?
Manchmal schaue ich mir sehr bewusst die Werbung im Fernsehen an; ich gehöre ja zu den sogenannten Boomern und sehe tatsächlich noch ganz klassisch fern. Das wissen die Macher offenbar, denn fast alle Produkte, die da beworben werden, zielen passgenau auf meine Generation.
Was mich an der Werbung nervt, das ist dieses ganze Anti-Aging Gedöns:
Denn da wird mir eingeredet: Du darfst auf gar keinen Fall alt werden! Und was noch viel schlimmer ist: Du darfst auf gar keinen Fall alt aussehen.
Und was es da alles an Präparaten und Versprechungen gibt, um zu verhindern, was nicht zu verhindern ist - das macht mich wirklich sprachlos!
Nein, ich finde meine Falten auch nicht schön. Aber sie stehen doch für die Jahre meines Lebens: Für mein Lachen, mein Weinen, meine Erfahrungen und Kämpfe. Und das lasse ich mir nicht nehmen.
Es gibt aber auch eine andere Seite an der Werbung, die mich fasziniert. Und das ist, wie sie mit gesellschaftlichen Tabus umgeht:
Da sieht man im Werbefilm beispielsweise eine Frau ü-sechszig, die sich mit ihren Freudinnen einen schönen Abend macht. Und wie sie ausgelassen miteinander lachen, wendet sich die Frau plötzlich an mich als Zuschauerin und erklärt mir fröhlich:
„Ich mach mir in die Hose. Wirklich!“ Und dann erfahren wir, welche Lösung sie für ihre Inkontinenz gefunden hat, und lässt sich in ihrer Freiheit einfach nicht einschränken.
Jetzt stellen Sie sich so eine Werbung einmal in den sechziger Jahren vor, in denen ich aufgewachsen bin. - Was für ein Skandal! Da haben sich die Frauen noch schamvoll versteckt und heimlich gelitten.
Und jetzt wird ganz frech und unbefangen über so ein Thema gesprochen, und das öffentlich! Ich finde, das gibt Frauen ein Stück Würde zurück. Und zwar ein Stück von der Menschenwürde, die uns Gott selbst verliehen hat.
Ja, es stimmt: früher war mehr Lametta. Aber weniger Lametta ist auch gut.
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