SWR1 Begegnungen

Christopher Hoffmann trifft Valentin Beck
Valentin Beck ist Seelsorger für obdachlose Menschen und Theologe in Luzern. Oder wie die Schweizer sagen: Gassenseelsorger.* Ich habe großen Respekt vor seiner Aufgabe. Wie kommt er mit den Menschen, die auf der Straße leben, ins Gespräch? Ein wichtiger Ort ist die Gassenküche, wo es jeden Tag ein warmes Essen gibt…
Das ist der Ort, der „place to be“, kann man sagen, dort trifft man die Menschen. Ansprechbar sein ist das Wichtigste. Dort versuche ich natürlich immer auch die mir unbekannten Gesichter zu erreichen, stell mich vor, Alltagsgespräche, und manchmal wenn es tiefer wird, geht man ein bisschen zur Seite. Spaziergang ist eine sehr gute Variante, um in ein Gespräch zu kommen oder eben in der Stadt.
Oft sind die Menschen aber unter einem großen Stress, weil viele von ihnen drogensüchtig sind. Valentin Beck, der die Menschen auch im Krankenhaus oder hinter Gittern besucht, findet dort Momente, wo Menschen offener sind für Sinnfragen:
Ein wichtiges Element sind auch die Besuche: Spital, Psychiatrie und Gefängnis. Und das sind Gelegenheiten wo man wirklich besser auch mit den Leuten sprechen kann, weil sie dort rausgenommen sind aus dem Beschaffungsstressalltag.
Dabei macht sich der 40-Jährige keine Illusionen: meistens ist es so, wenn Klienten aus dem Gefängnis rauskommen dann ist die erste Station der Bahnhofplatz, wo auch wieder Drogen konsumiert werden. Dessen muss man sich bewusst sein, sagt Valentin Beck. Und trotzdem: ich merke dem Seelsorger an, dass er große Achtung vor jeder einzelnen Lebensgeschichte hat:
Wenn man die einzelnen Menschen kennt, ist das nicht mehr eine Drogenszene, sondern da siehst du wirklich die Menschen.
Was beschäftigt diese Menschen denn in der Weihnachtszeit besonders?
Womit sie konfrontiert werden, sind glaub ich schon oft die Kindheitserinnerungen, die Emotionen auslösen, je nachdem wie ihre Familienverbindung noch ist. In den meisten Fällen ist sie belastet oder ganz gebrochen, kommt dann dieser Schmerz vielleicht an eine gute Erinnerung zurück oder an eine schlechte, weil es damals schon zum Beispiel mit Vernachlässigung oder Gewalt verbunden war. Plus die Frage: Wohin gehöre ich jetzt an diesem besonderen Abend? Wo ist die „Homebase“? Wo ist der letzte Pflock?
Valentin Beck versucht dann auch Kontakt zu Familienangehörigen herzustellen. Manchmal gelingt das, und sie feiern gemeinsam Weihnachten. Wenn nicht, bietet er mit seinem Team selbst am Heiligen Abend eine Weihnachtsfeier an – auch gestern wieder. Wie kann ich mir das vorstellen?
Es gibt ein sehr, sehr feines Essen – es wird serviert, schön getischt, Kerzenlicht, Musik. Es gibt dann einen Impuls, diesen Impuls bereite ich jeweils vor und versuche dann Weihnachtsbotschaft im weiteren Sinn mit diesem Ort zu verbinden: Dass die Gassenküche vielleicht eine Art Stall sein kann, aber es auch immaterielle Ställe geben kann, wo man irgendwie sich zu Hause fühlen kann, das können soziale Kreise sein, oder etwas, was einem auch sonst wichtig ist im Leben, Halt gibt, wo man willkommen ist.
Und die Frauen und Männer auf der Straße, die stimmen dann auch in Weihnachtslieder ein?
Jaja, das muss unbedingt sein. Das wird auch fast ein bisschen erwartet. Zuerst ist das vielleicht ein bisschen sarkastisch mitgesungen, aber dann plötzlich spürt man, dass das schon bei einigen auch was auslöst, und sie gerne auch mitsingen…
Der Seelsorger erlebt: Viele sind offen für Glaubensinhalte, sind auf der Suche. Dankbar für einen Segen. Valentin Beck geht damit aber immer behutsam um, will niemandem etwas überstülpen.
Ich treffe Valentin Beck in der Schweiz, wo er als Gassenseelsorger in Luzern arbeitet. Der humorvolle Theologe hat sich ein herausforderndes Feld ausgesucht: Seelsorge mit Menschen, die auf der Straße leben. Was braucht es dafür?
Das Interesse, das echte Interesse an den Menschen. Freude haben an einem guten Moment, der dann vielleicht morgen wieder zerstört ist, aber der gute Moment ist etwas wert. Das Göttliche, das wirklich überall drinsteckt. Und ich find das spürt man auch absolut.
Das Heilige in den kleinen Momenten des Alltags sehen - mich fasziniert das und ich will wissen: Was gibt ihm dafür die Motivation? Valentin Beck schöpft für sich viel Kraft aus der Weihnachtszusage, dass Gott selbst Mensch geworden ist und zwar unter arm-seligen Verhältnissen…
Dass dieses Licht eigentlich überall gleich hell scheint in die letzte Ecke hinein, das würde ich eindeutig sagen, ja.
In jede Ecke – auch in die Dunkelste - scheint Gottes Licht. Wer ist dieser Gott für Valentin Beck?
Also ein Lieblingsbegriff von mir -zum Beispiel in Predigten- ist: der innere Zusammenhalt der Welt . Immer wo diese Verbindung oder Begegnung spürbar ist, da ist für mich das Göttliche.
Wie können denn andere Menschen diese Begegnungen gut gestalten? Welche Tipps hat der professionelle Gassenseelsorger an Passanten, um das Leben für Menschen auf der Straße etwas heller zu machen?
Da sind unsere Besucherinnen und Besucher extrem sensibel – man sieht sofort einem Blick an: Wie schaut mich ein Mensch an: abwertend, voller Angst oder nur Mitleid oder ich sehe mich primär als Mensch. Und da würde ich schon empfehlen mit den Leuten auch ins Gespräch zu kommen um eben zu spüren: Die sind so individuell wie andere Menschen auch.
Außerdem brauchen die Menschen eine Lobby, damit auch Geld in die Hand genommen wird, etwa für Unterkünfte. Valentin Beck freut sich, wenn die Menschen auf der Straße sich selbst auch als wirksam erfahren können, zum Beispiel in einem Chorprojekt, in dem sie nun in der Weihnachtszeit mitsingen:
Das ist auch die Motivation des Chörlis: Die sagen: Wir wollen erscheinen, dass wir auch Freude machen können, nicht nur immer bedürftig sind.
*weitere Infos beim Verein kirchliche Gassenarbeit unter https://www.gassenarbeit.ch/
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41260