SWR1 Begegnungen

06JAN2025
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Mit den Heiligen Drei Königen kam schon damals symbolisch die ganze Welt zusammen, um dem Kindlein in der Krippe zu huldigen. Die drei Könige stehen für die damals bekannten Kontinente: Europa, Asien und Afrika. Die Menschheit ist gemeinsam unterwegs, so wird es uns erzählt. Und heute?

Mein Gesprächspartner heißt Stève Hiobi, hat seine Wurzeln in Afrika. Er wohnt in Heidelberg, ist 38 Jahre alt und ein Afrofluencer. Auf Social-Media ist er als „(@Dein) Bruder Stève“ unterwegs und das klingt dann so:

Wie kannst du dein Wissen über Afrika erweitern. Afrika ist ein Kontinent voller Geschichte und Kultur. Aber oft fehlt uns hier in Europa genau dieses Wissen. Deswegen…

…dreht er Videos voll von Geschichte und Hintergrundinfos über die 54 Länder Afrikas.

Dass es mir schon schwer fällt einen Überblick über die 47 Länder Europas zu behalten, zeigt wie vielfältig der Kontinent ist. Und jetzt hat Hiobi auch ein Buch dazu geschrieben: „All About Africa“[1]. Immer die Frage im Blick: Was hat das, was dort geschieht, mit uns zu tun?

Stève Hiobi ist in Kamerun geboren und in Deutschland aufgewachsen. Schon als Kind hat er festgestellt: Wenn die Deutschen auf Afrika schauen, dann haben sie einen verklärten und exotischen Blick. Afrika ist Wüste, Dschungel, „König der Löwen“, aber auch einfaches Leben. Es gibt Dürre, Krankheiten, Konflikte. Unbekannt bleiben innovative Technologie-Startups oder florierende Kunstszenen. Wer kennt schon „An African City“ – eine Web- und Fernsehserie im „Sex and the City”- Style nur aus Ghana?!

Wir haben quasi einen bestimmten Blick oder ein Narrativ wie ist oder zu sein hat oder uns immer wieder vorgezeigt wird. Und das beeinflusst natürlich auch wieder, wie wir über die Menschen da denken oder auch politische Entscheidungen…

… die getroffen werden und das nervt ihn. Die Wörter „eurozentrisch“ und „Kolonialismus“ fallen immer wieder in unserem Gespräch. Für Stève ist klar, wie wir über Afrika reden, das ist immer noch eine Folge der Kolonialisierung Afrikas.

Weder Stève noch ich hatten die Kolonialisierung im Schulunterricht. Dabei lässt sich das Thema in vielen Fächern gut bearbeiten. Manche Lehrkräfte behandeln es auch, bekommt Stève auf seinen Social-Media-Kanälen mit. Umso mehr spornt es ihn an, auf die über Afrika bestehenden Narrative aufmerksam zu machen. Doch das Netz hat so seine Tücken und der Umgangston ist speziell:

Social-Media ist schon sehr auf Konfrontation aus. Klar, die Plattformen lieben sowas. Wenn man viel kommentiert und dann geht es hin und her. Am Ende regen sich alle auf, es bringt auch Reichweite, aber danach hat keiner irgendwas gewonnen. Die einen sind immer noch dagegen, die anderen sind weiterhin dafür. Es bilden sich die Bubbles und die Bubbles bleiben halt in ihren Bubbles.

Es braucht schon viel Mut sich in so ein Netz hineinzubegeben. Doch Stève Hiobi hat da so seinen Weg gefunden.

In Deutschland leben knapp 85 Millionen Menschen. Etwa 1,1 Millionen davon haben ihre Wurzeln in Afrika. Stève Hiobi ist einer davon und auch wenn er in zweiter Generation in Deutschland aufgewachsen ist, im Alltag begegnet ihm Rassismus immer wieder.  

Ich laufe in der Bahn, setze mich irgendwo hin und Leute ziehen ihre Handtaschen zu sich. Und ich denk mir so, hä? Warum, was habe ich getan? 

Und ich denke mir, warum tun sie das?

Überrascht hat mich, dass Stève trotz solcher Erfahrungen sachlich an seine Themen rangeht. In seinen Videos spiegelt er immer wieder solche Rassismus-Situationen, die er selbst im Alltag erlebt. Indem er Situationen nachstellt, nur mit anderen Akteuren.

Ich fasse quasi weißen Leute in die Haare oder so. Ich habe das voll oft erlebt, dass Leute mir einfach an die Haare fassen.

Eine Handtasche, ein Blick, manchmal sind es Kleinigkeiten, die ihm aber ein diskriminierendes Gefühl vermitteln. Ich kann es schwer verstehen, weil ich nicht in seiner Haut stecke. Aber es ist für mich als Christin nicht hinnehmbar, dass sich jemand in alltäglichen Situationen diskriminiert fühlen muss. Ich wünsche sowas niemandem.

Also will ich von ihm wissen, was ich tun kann, damit solche Situationen nicht entstehen und fühle mich ertappt:

Weiße Menschen kommen dann immer zu schnell in diese Ich-Sachen, so. Was kann ich tun? Ich wünsche mir manchmal, dass Leute versuchen erstmal zuzuhören und versuchen einfach nur zu verstehen erstmal.

Es geht einfach um Respekt und Offenheit. Ne einfache Sache, die aber nicht selbstverständlich ist und die Stève vielerorts vermisst.

Man kann verschiedene Standpunkte haben, aber wenn man quasi menschlichen Umgang komplett verliert. Das finde ich halt richtig schwierig so, weil, wenn man sich nicht drauf verlassen kann, dass man sich respektiert. Wie will man dann erst so über richtig schwierige Themen sprechen und eine Lösung finden?

Ja, finde ich auch schwierig und traurig. Vor allem, wenn man sich gegenseitig aussticht. Man ringt nicht miteinander für das Wohl von allen. Das wäre aber viel mehr Wert für unser Miteinander.

Denn die Frage ist doch: Wie wollen wir mit unseren unterschiedlichen Wurzeln zusammenleben? Und wie sehen wir uns und die anderen dabei?

Stève spricht sein Publikum mit „Brüder und Schwestern“ an:

Ich finde es ist eine einladende Begrüßung, wenn man jemanden als Brüder und Schwestern anspricht. Mich haben tatsächlich immer mal wieder Leute angeschrieben, weil ich das so gesagt habe und haben gesagt: Ja, sind wir „Weiße“ jetzt etwa nicht angesprochen? Das habe ich ja in keiner Weise gesagt. Ich habe einfach nur Leute wie Brüder und Schwestern angesprochen.

Ein Narrativ, dass man Schwarzen zuspricht? „Die reden sich so an.“? Möglich. Aber Christen, und Stève ist Christ, sind auch Brüder und Schwestern, sprechen sich genauso an. Alles eine Frage der Perspektive.

Im Verlauf unserer Begegnung sind mir immer wieder meine eigenen Narrative über Afrika begegnet und wie wichtig es doch ist, dass ich mir diese bewusst mache, um Menschen als Menschen begegnen zu können.

 

 

[1] Droemer HC, 2024. 

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41255
weiterlesen...