SWR Kultur Wort zum Tag
Ein frohes Neues Jahr – das wünsche ich Ihnen und mir. Aber wieso eigentlich? Natürlich liegt das Jahr wie ein unbeschriebenes Blatt noch vor uns, und Freude kann man immer brauchen. „Besonders Gesundheit“, fügen manche gleich hinzu und natürlich Erfolg. „Ein frohes Neues Jahr“ - was ist das eigentlich und was sage ich da? Freude kann ich nicht einfach herbeizitieren und herstellen, am Fließband schon gar nicht. „Freu dich doch“ – solch ein Appell bewirkt eher das Gegenteil. Nein, Freude stellt sich ein, wenn ein Anlass da ist, ein Grund. Der Freuden-Wunsch hat mit dem Neuen Jahr zu tun, mit allem, was da auf uns zukommt. Keiner weiß, was es bringt; manchen ist eher mulmig zumute, und Unwägbarkeiten gibt es genug, aber eines ist das beginnende Jahr in jedem Fall: eine Riesenchance, womöglich sogar ein Geschenk. Daran können auch durchwachsene Aussichten nichts ändern. Und noch etwas Erstaunliches: Neujahr bedeutet Anfang. Mag der kalendarische Einschnitt auch etwas zufällig sein, mag das Leben vom letzten Jahr einfach überlaufen ins Neue. „Jedem Anfang wohnt ein Zauber inne“ – nicht zufällig ist dieser Gedichtvers von Hermann Hesse so bekannt. Da stecken Hoffnungen drin und eben Wünsche, Anfang klingt wie eine Verheißung, wie eine Initiation: der erste Schultag, der erste Kuss, das erste eigene Gehalt.
„Höre nie auf anzufangen, fange nie an aufzuhören“ – dieser Kalenderspruch passt gut zum heutigen Tag. Das Neue Jahr wird auch Situationen bringen, wo man die Brocken hinschmeißen und aufhören möchte. Selbst heute wird nicht jeder und jede hoffnungsvoll gestimmt sein. Umso wichtiger dieses „höre nie auf anzufangen“. Dahinter kann der Bibelleser den Psalmvers hören, ein Gebet voller Vertrauen: „In deiner Hand sind meine Zeiten“ (Ps 31,16 Böhler)“. Friedrich Wilhelm Schelling, ein großer Philosoph des 19. Jahrhunderts, hat den Satz geprägt: „Gott ist der, der anfangen kann und anfangen lässt“, eben der Schöpfer. In jedem zeitlichen Anfang ist das Wunder der ganzen Schöpfung präsent und aktiv, und die geschieht ständig. Kein Wort könnte ich sagen, wären da nicht schon Luft, Atem und Körper. Keinen Augenblick könnte ich schöpferisch sein, ohne dazu ermächtigt zu werden. Im deutschen Lehnwort Initiative steckt das lateinische „initium“, und das heißt Anfang in der Zeit. Und jedem Anfang wohnt der Zauber inne, der vom Schöpfungsmorgen ausgeht. Wie wunderbar, Initiativen entwickeln zu können und für das beginnende Jahr Prioritäten zu setzen.
Der Papst hat ein Heiliges Jahr der Hoffnung ausgerufen: also keine Illusionen und falsche Versprechen, aber auch nicht Trübsal blasen und resignieren. Nicht zufällig spricht man ja von guter Hoffnung, wenn ein Kind unterwegs ist. Ja, jedem Anfang wohnt ein Zauber inne. In jeder Initiative steckt nämlich etwas von unserer Geburt und vom Geheimnis unserer Herkunft. Was wusste ich denn von der Welt, als ich noch im Mutterleib war? Welche Überraschung, das Licht der Welt zu erblicken, dieses absolute Neuland! Ob daher der Zauber jeden Anfangens kommt? Die katholische Kirche feiert heute das Fest der Gottesmutter Maria, sie würdigt in Maria den gottempfänglichen Menschen. Der Gott, der uns anfangen lässt, fängt in ihr und mit ihr neu an. Maria am Beginn des Neuen Jahres: eine mütterliche Hoffnungsgestalt, Symbol des gottdurchlässigen und glaubenskreativen Menschen. Alle sind eingeladen, in Gottes Sinne initiativ zu werden und guter Hoffnung zu sein.
Deshalb möchte ich schließen mit dem biblischen Segen, der in der heutigen Liturgie gesprochen wird. Wunderbar macht er den Sonnenaufgang zum Inbild von göttlicher Ermutigung und Treue: „Der lebendige Gott segne und behüte dich. Er lasse sein Angesicht leuchten und sei dir gut. Er wende dir sein Angesicht zu und gewähre dir Glück und Gelingen.“ Also, ein frohes Neues Jahr.
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