SWR Kultur Wort zum Tag

30DEZ2024
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Immer noch klingen Stimmungen und Bilder von Weihnachten in mir nach. Besonders die Geschenkrunde am Heiligen Abend. Wie da Glanz in die Augen und Gesichter kommen kann, dieses sprichwörtliche Strahlen. Auch beim Besuch einsamer Mitmenschen habe ich es wieder erlebt: die lösende Freude, dass doch jemand an sie gedacht hat. Warum kann das nicht das ganze Jahr über so weitergehen? Wie können wir dieses Strahlen oder jedenfalls etwas davon in den grauen Alltag retten und auf die Gesichter zaubern? Wie kann ich selbst ein Mensch mit guter Ausstrahlung sein und werden?  Und von wem lasse ich mich anstrahlen? Direkt herstellen können wir das ja nie, Freude stellt sich von selbst ein, wenn entsprechend Schönes geschieht, als Folge und Frucht sozusagen. Freude kommt von innen, als würden verschlossene Türen aufgehen, und der Menschen verändert sich, das Gesicht strahlt. Offenkundig kommt es auf das richtige Schenken an, also auch auf die Kunst, sich beschenken zu lassen. Natürlich gehört auch die Liebe dazu. Dorothee Sölle, die leidenschaftliche Christin, sagte einmal frech und traurig „Liebe findet nur noch im Bett und zu Weihnachten statt“, sonst geht es gnadenlos zu, allzu oft jedenfalls. Kaum eine Spur vom Strahlen das Jahr über. Wie also die Freude hinüberretten und mitnehmen, die da weihnachtlich aufblitzte? Hinein in den grauen Alltag, damit es auch dort öfter zündet? 

Einen erstaunlichen Hinweis dazu fand ich in den Tagebüchern von Franz Kafka, wenn er schreibt: „Es ist gut denkbar, dass die Herrlichkeit des Lebens um jeden und immer in ihrer ganzen Fülle bereit liegt, aber verhängt, in der Tiefe, unsichtbar, sehr weit. Aber sie liegt dort, nicht feindselig, nicht widerwillig, nicht taub. Ruft man sie mit dem richtigen Wort, beim richtigen Namen, dann kommt sie. Das ist das Wesen der Zauberei, die nicht schafft, sondern ruft.“ (18.10.1921) Der jüdische Schriftsteller gebraucht biblische Sprache: Von Herrlichkeit ist da die Rede, von Lichtglanz – und diese Herrlichkeit ist ständig abrufbar. Bei jedem Grashalm könnte man ins Staunen und Strahlen kommen, bei jeder hilfsbereiten Geste und jedem aufmerksamen Wort, eigentlich könnte alles Anlass sein zur Freude und auch zum Dank. Wir haben das Weihnachten gefeiert: „Himmel und Erde sind erfüllt von deiner Herrlichkeit“, heißt es in der Liturgie; sogar die Nacht strahlt auf. Gottes Liebe ist nicht mehr aus der Welt zu schaffen. Man muss sie rufen, hervorrufen. Und das geht immer, nicht nur zu Weihnachten.

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