Anstöße SWR1 RP / Morgengedanken SWR4 RP

11DEZ2024
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Die Fernsehmoderatorin Sandra Maischberger hat vor kurzem erzählt, dass sie einen Aschenbecher aufbewahrt, in dem ein paar alte Zigarettenkippen liegen. Es sind die Reste der Zigaretten, die der frühere Bundeskanzler Helmut Schmidt bei seinem letzten Fernsehinterview mit ihr geraucht hat. Schmidt starb vor neun Jahren.

Für Manchen mag sowas vielleicht seltsam klingen. Ich kann das aber ganz gut verstehen. In einer Schublade verwahre ich nämlich in einer kleinen Schachtel auch einen Schatz. Die Armbanduhr meines Vaters. Vor ein paar Jahren ist er gestorben. Es ist keine wertvolle Uhr. Kein teures Sammlerstück. Sowas besaß mein Vater nicht. Nichts also, was für Andere sonderlich interessant wäre. Aber für mich. Weil diese unscheinbare Armbanduhr verbunden ist mit ganz vielen Erinnerungen. Mein Vater hat sie getragen, als meine Tochter ihren Schulabschluss mit uns gefeiert hat. Er hat sie getragen, als er zum letzten Mal bei uns war. Ein paar Monate vor seinem Tod. Er hatte sie auch am Handgelenk, als man ihn ins Krankenhaus brachte. Auf dem Nachttisch neben seinem Krankenhausbett hat sie gelegen bis zum Schluss. Wenn ich die Uhr heute in die Hand nehme, dann sehe ich meinen Vater wieder vor mir. Erinnere mich an ihn. An so Vieles, das wir zusammen erlebt haben. Die unscheinbare Uhr lässt Momente lebendig werden, die längst vergangen sind. Holt sie für kurze Zeit zurück in meine Gegenwart.

Der brasilianische Theologe Leonardo Boff hat solche Dinge mal Sakramente genannt. Dinge also, die Menschen heilig sind. Weil sie eine Brücke bauen zu etwas, das für ihr Leben wichtig war und ist. Von außen betrachtet vielleicht nur wertloses Zeug, so wie die Zigarettenkippen. Für Eingeweihte hingegen ein Schatz, den sie sorgsam hüten. Ich bin überzeugt: Die Welt dürfte voll sein von solchen Sakramenten des Alltags. Wahrscheinlich so vielen, wie es Menschen gibt.

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