Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW

14DEZ2024
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Wer morgens aufwacht und weiß, dass er mit seinem Nachbarn im Klinsch liegt, ist arm dran. Leider gibt es diesen Umstand gar nicht so selten. Ich weiß von einem befreundeten Ehepaar, dass sie Überwachungskameras installieren mussten, weil ihr Nachbar Unrat über den Gartenzaun geworfen und ihr Auto zerkratzt hat. Oft schwelen solche Konflikte auch vor sich hin, weil man sich über Kleinigkeiten geärgert hat und es nie eine Möglichkeit gab, sie aus der Welt zu räumen. Im Laufe der Zeit wird die Stimmung immer schlechter. Ich weiß von Leuten, die immer erst geprüft haben, ob die Luft rein ist, damit sie den vermeintlich blöden Nachbarn nur nicht grüßen müssen. Ich kann mir vorstellen, wie sehr einem das die Laune verdirbt, ja mit der Zeit richtig aufs Gemüt schlägt. Ich bin froh, dass es in meiner Nachbarschaft nicht so ist. Und ich weiß, dass ich und die anderen etwas investieren müssen, damit Nachbarschaft funktioniert.

Wo ich wohne, achten wir aufeinander, helfen, wo nötig, besuchen uns gegenseitig. Wir fragen nach, wenn wir einen lange nicht gesehen haben. Einer meiner Nachbarn ist technisch begabt, ich nicht. Ich kann dafür reden und kenne viele Leute in der Stadt. Eine andere Nachbarin versteht sich bestens mit meinen Hunden. Ich übernehme gelegentlich Fahrdienste für sie. Besonders schön ist es, wenn wir uns zu bestimmten Anlässen einladen und dann die halbe Straße zusammenkommt. Wie morgen Abend, wenn bei uns im Garten ein Adventsliedersingen stattfindet. Das haben wir in der Corona-Zeit angefangen und inzwischen ist es eine kleine Tradition geworden. Da kommen dann so dreißig Leute zusammen, Kinder und Senioren, und manche laden noch ein paar Freunde dazu ein, weil sich schon herumgesprochen hat, wie schön das ist. Jeder bringt eine Kerze mit, es gibt ein Liedblatt mit einem Bild vorne drauf: die Wurzel Jesse oder Johannes der Täufer oder die Jungfrau Maria. Kinder bringen Flöten mit, und manchmal gibt es hinterher noch Selbstgebackenes. Nach einer dreiviertel Stunde ist alles vorbei, und jeder geht wieder nach Hause. Was aber bleibt: Ich spüre, wie gut das tut. Und das hinterlässt bei mir ein Gefühl von tiefem Frieden.

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