Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Der vierte Dezember ist mein Namenstag – Barbara-Tag. Und obwohl ich es noch nie geschafft habe, dass sie blühen, werde ich mir ein paar Barbara-Zweige schneiden – entweder von dem gelben Forsythien-Strauch bei meiner Mutter vor dem Schlafzimmerfenster oder Kirsche – auf dem Gartengrundstück meiner Nachbarin.
Barbara-Zweige. Man schneidet von einem Strauch oder Baum Anfang Dezember ein paar Äste ab und stellt sie in eine Vase – und ihre Kraft und ihr Lebenswille reichen, damit die kleinen Knospen an den Ästen dick und rund werden und dann an Weihnachten sogar blühen. An Weihnachten, wenn wir Christen feiern, dass Gott neu auf die Welt kommt, einen Neuanfang wagt, neue Hoffnung schenkt, neues blühendes Leben – und wenn es um uns herum noch so dunkel und trübe ist.
Wie gesagt – leider habe ich es noch nie geschafft, dass die Zweige in meiner Vase wirklich geblüht haben. Vielleicht war das Zimmer zu warm, in das ich sie letztes Mal gestellt habe? Oder waren die Zweige schlecht geschnitten, zu holzig oder viel zu dünn? Ich weiß es nicht. Und ich habe fast ein bisschen Angst, es noch einmal zu versuchen. Die Zweige sind immerhin ein Hoffnungszeichen – dass sie grün und lebendig werden und blühen - obwohl sie heute, am Barbara-Tag, so kahl und leblos aussehen. So kahl, leblos und hoffnungslos, wie ich mich manchmal fühle, wenn mir die schlechten Nachrichten über Kriege und Krisen zu viel werden. Wenn ich heimkomme von einer Beerdigung, weil ein lieber Mensch gestorben ist. Weil eine gute Freundin von mir dieses Jahr schwer krank geworden ist, und weil ich auch mit mir selbst zu kämpfen habe. Was, wenn dann nicht einmal mein Hoffnungszeichen blüht?
Aber genau das ist ja das Wesen von Hoffnung: Sie ist Hoffnung und nicht Gewissheit. Hoffnung und eben nicht garantierter Erfolg. Ich werde heute also gehen und mir ein paar Barbara-Zeige schneiden. Entweder Forsythie oder Kirsche, zur Not auch Apfel. Ich werde sie gut anschneiden und in eine Vase mit frischem Wasser stellen – nicht zu nah an der Heizung aber auch nicht zu kalt. Meine Barbara-Zweige werden mich in den drei Wochen begleiten, in denen die Nächte immer noch länger werden. Ihre Knospen sind zwar noch klein, aber sie sind da. Ihr Lebenswille ist da. Warum also sollte ich nicht hoffen, dass an Weihnachten neues Leben blühen wird?
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