SWR4 Abendgedanken

06DEZ2024
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Wenn der Nikolaus kam, hatte ich als Kind ziemlich Angst.

Wie er vor mir und meinem Bruder stand. Furchterregend groß mit seiner Bischofmütze, weißen Rauschebart und seinem Bischofstab in der Hand. Streng sah er aus. Und er war nicht allein. Er hatte einen Helfer. Der machte mir so Angst, dass ich mich hinter den Beinen meiner Mama versteckt habe: Knecht Ruprecht. Mit seinem grauen Strubbelbart, in der einen Hand einen Jutesack und in der anderen die Rute, mit der er drohte, wenn gesagt worden ist, dass ich und mein Bruder nicht immer brav waren. Und das waren wir ganz sicher nicht immer. Geschlagen hat Ruprecht nie, aber gedroht. Das hat gereicht.
Ich habe erst Jahre später kapiert, dass Knecht Ruprecht eigentlich an der Seite von Nikolaus gar nichts verloren hat. Der nur Kindern Angst gemacht hat, damit sie brav sind und der Nikolaus glänzen konnte und Geschenke verteilen. Das Ergebnis bei mir war allerdings, dass ich vor beiden Angst hatte. Ich denke aber, genau das Gegenteil sollte Nikolaus erzählen. Nämlich, dass man durch ihn Zuwendung lernt, nicht Angst.

In den Geschichten von Nikolaus kommt Ruprecht zum Beispiel gar nicht vor. Eine der Bekanntesten erzählt davon, dass ein Vater so arm gewesen ist, dass er keinen anderen Ausweg mehr wusste, als seine drei Töchter in die Prostitution zu schicken. Nikolaus bekommt Wind davon und beschließt ihm zu helfen. Wirft ihnen nachts drei Goldklumpen durchs Fenster und dadurch müssen die Mädchen nicht anschaffen gehen. Und ihr Vater erfährt, dass es in größter Not Menschen gibt, die einem helfen.

Hier gibt es keinen Knecht Ruprecht. Keine Rute und keine Drohungen.

Kein Kind sollte denken: Nur, wenn ich brav bin, bekomme ich etwas vom Nikolaus. Und niemand sollte Angst vor ihm haben. Ganz im Gegenteil: Der Nikolaus ist ein Vorbild der Zuwendung, der Menschen geholfen hat, wenn sie Angst hatten. Und genau darin ist er nicht nur für Kinder da. Wie viele Menschen haben heute Angst vor ihrer Zukunft. Dass sie in Altersarmut geraten könnten oder sie einsam werden könnten. Ganz zu schweigen von den Menschen, die all das heute schon sind. Nikolaus hat sich den Menschen um sich herum zugewendet und ihnen geholfen. Er erinnert mich zum Beispiel daran, dass ich weiß, dass meine Nachbarin alt und überfordert ist. Ich möchte sie endlich wieder mal zum Kaffee einladen und sie fragen, wie ich ihr helfen kann. Denn Zuwendung hilft gegen Not und Angst.

Das hat mir Nikolaus beigebracht.

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