SWR4 Abendgedanken

05DEZ2024
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Elviras Sohn geht in einen inklusiven Kindergarten.

Dort sind Kinder mit und ohne Behinderungen zusammen in einer Gruppe. In einer Mischung aus Neugierde und Sorge fragt sie ihren Sohn irgendwann, wie das für ihn so ist. Ob das für ihn nicht irgendwie seltsam ist. Und ob er nicht Mitgefühl mit den Kindern hat, die eine Einschränkung haben und deshalb vielleicht nicht alles mitmachen können. Das Gespräch entwickelt sich anders als sie erwartet hatte, denn ihr Sohn versteht die Frage überhaupt nicht. „Was für Einschränkungen meinst Du, Mama?“

Elvira hat es ja gut gemeint und wollte einfach mit ihrem Sohn darüber reden. Aber es stellt sich heraus, dass ihre Frage eine reine Erwachsenenfrage ist. Ihr Sohn sieht diesen Unterschied gar nicht. Wahrscheinlich ist es für ihn so, dass alle Kinder irgendetwas besser oder schlechter können und das ist ja ganz normal. Und in dieser Wahrnehmung gibt es keine Trennlinie zwischen Kindern mit oder ohne Behinderung.

Was für ein schöner Gedanke. Was für eine schöne Art, Menschen zu sehen und wahrzunehmen. Sie nicht von ihren Schwächen her zu definieren, sondern erst einmal nur als Menschen. Diese Gemeinsamkeit in den Vordergrund zu stellen und dann erst die Unterschiede zu sehen. Und diese Unterschiedlichkeit dann nicht zu werten.

Vielleicht ist es das, was Jesus meint, wenn er einmal zu den Menschen um sich herum sagt: „Werdet wie die Kinder“. Ich verstehe diese Aufforderung genauso, wie Elviras Sohn es vorgemacht hat. Teilt die Menschen nicht ein. Schaut nicht auf ihre Schwächen und Unterschiede. Die hat jeder auf seine Art. Seht sie einfach an. Lebt mit ihnen, wie sie sind und helft ihnen, wenn sie Hilfe brauchen.

Natürlich weiß ich auch, dass Kinder ganz schön grausam sein können. Sich mobben und ausgrenzen. Aber vor allem kleine Kinder haben noch diese wundervolle Gabe, nicht alles einzuteilen. Vielleicht kommt das daher, dass für kleine Kinder so vieles im Leben noch neu ist und dadurch einfach normal.

Ich frage mich, was passieren würde, wenn wir in diesem Sinne wirklich, wie die Kinder werden würden. Wie die Kinder sich an dem anderen Menschen neugierig zu freuen, wenn er mit einem fremden Akzent spricht oder eine ungewohnte Kleidung trägt. Und diesem dann einfach zuzulächeln. Wenn es nicht mehr die einen und die anderen geben würde, sondern erst einmal nur den Menschen mir gegenüber. Der mit mir wesentlich mehr Gemeinsamkeiten hat, als dass mich irgendetwas von ihm trennt.

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