Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP

29NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Am Montagabend wird getanzt. Mit meiner Freundin Maria-Elena besuche ich einen Sportkurs. Zu lateinamerikanischer Musik versuchen wir die Tanzschritte der Trainerin nachzumachen und dabei nicht über die eigenen Füße zu stolpern.

Das Lied von einem brasilianischen Sänger hat so seine Tücken. An einer Stelle dreht man sich um die eigene Achse. Ein Bein bleibt stehen. Das andere hüpft sozusagen außen drum herum. Dazu bewegt man die Arme auf Schulterhöhe leicht wedelnd mit.

Während ich mich versuche zu drehen, bleibt mein Blick an meiner Freundin hängen. Ich bin fasziniert, wie sie formvollendet und völlig im Takt die Drehung meistert. Überhaupt scheint ihr dieses Lied eine große Freude zu machen. Sie wirkt so ganz bei sich selbst.

Das ist besonders. Denn man muss wissen: Maria-Elena ist keine Tanz-Maus. Das sagt sie selbst. 

Nach dem Kurs spreche ich sie im Auto auf dieses Lied und meinen Eindruck an: „Du sahst toll aus. Du bist also doch eine Tanz-Maus!“ Sie ist etwas verlegen. „Dieses Lied erinnert mich an meinen Papa. Wenn es im Radio kam, machte mein Papa es immer ganz laut und sang mit.“ Ihr Vater ist vor sechs Jahren gestorben.

Ich glaube, mich fasziniert diese Leichtigkeit, die sie beim Tanzen ausstrahlt. Wenn wir ab und zu auf ihren Papa zu sprechen kommen, erzählt sie, dass er ihr oft fehlt: der Austausch mit ihm, seine Einschätzung und Unterstützung. Die Trauer um seinen Verlust ist heute immer noch da. Wie vor sechs Jahren, als er gestorben ist. Die Trauer hört also bei ihr – wie auch bei den vielen Menschen, die ich in meiner Arbeit begleite – nicht einfach auf und ist dann weg. Die Trauer verändert sich aber über die Jahre. Sie ist nicht immer nur schwer wie oft ganz zu Beginn.

Die Trauer meiner Freundin bekommt im Tanzen eine erstaunliche Leichtigkeit. Sie fühlt sich mit ihrem Vater im Tanz verbunden und nah.

Als ich vor ihrem Haus anhalte, um sie aussteigen zu lassen, zieht sie noch einen kleinen Zettel aus der Tasche. Es ist der Zettel aus einem Glückkeks. Darauf steht:

„Wo kein Schnee liegt, darf getanzt werden!“ Wir müssen beide lachen – mit Tränen in den Augen.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=41104
weiterlesen...