SWR Kultur Wort zum Tag
Die meisten Studierenden kommen wegen Prüfungsstress, Erschöpfung oder Gefühlen von Überforderung zu mir in die Seelsorge. Und manchmal zeigt sich erst im Laufe der Gespräche, dass da noch ganz andere Themen schlummern und an Gewicht gewinnen:
Mir ist aufgefallen, dass ich es im letzten Jahr häufig mit Trauernden zu tun hatte. Die wenigsten sprechen das gleich am Anfang an. Auf meine Frage hin erklären sie, dass sie nicht wüssten, wie sie über ihre Trauer reden sollen. Das haben sie weder in der Schule gelernt, noch sonst irgendwo im Leben. Und eigentlich sind sie ja noch viel zu jung, um schon mit Tod konfrontiert zu sein.
Besonders berührt hat mich ein Student, der um seine Oma trauert. Die beiden haben gerne zusammen gespielt: Kartenspiele und Mensch ärgere dich nicht und haben dabei viel gelacht. Auch als die Oma schon im Krankenhaus war und später im Hospiz.
Wenn der Student anfängt von seiner Oma zu erzählen, leuchten seine Augen und er erinnert sich bewusst an seine Oma: wie sie miteinander gespielt haben und dabei Süßigkeiten gegessen haben. Sie hat ihn dann verschmitzt angelächelt und gesagt: „Eigentlich darf ich nichts Süßes essen. Aber das ist mir egal. Es schmeckt so gut, wenn ich es mit dir teilen kann!“
Diese Sätze zeigen mir, wie sehr der Student seine Oma geliebt hat und sie nun vermisst. Und beim Erzählen hat er für sich gemerkt: Trauern und erinnern gehören zusammen. Wenn er von seiner geliebten Oma erzählt, löst sich der Kloß im Hals und lockert sich der Klumpen im Bauch. Ich habe in meinem Büro auch immer eine Box mit Tempos stehen. Und wenn die Tränen fließen, fließen sie eben. Das tut gut. Endlich kann der Student in einem geschützten Raum seine Trauer zeigen, ohne sich dafür schämen oder erklären zu müssen.
Zum zweiten Termin hat der Student ein Foto von seiner Oma mitgebracht und das Kartendeck, mit dem sie immer Karten gespielt haben. Wir haben eine Kerze angezündet, das Kartendeck dazu gelegt und sind eine Weile still geworden. Danach habe ich mit seinem Einverständnis ein Gebet gesprochen, für seine Oma und für die ganze Familie, für die Nachbarn, Freundinnen und Freunde, die um die Verstorbene trauern und die mit dem Verlust weiterleben müssen. Ich schließe das Gebet mit den Worten: „Vertrauensvoll legen wir alle Trauer und alle Schmerzen in Gottes Hand, der in der Bibel sagt: „Ich will dich trösten, wie einen seine Mutter tröstet!“ (Jesaja 66,13)
Die christliche Tradition lehrt uns, mit dem Tod bewusst zu leben. Nicht, um immer traurig zu sein, sondern um das Leben jeden Tag dankbar zu achten und die Toten dabei im Herzen zu bewahren.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41100