SWR Kultur Wort zum Tag
Alles ist erlaubt, das ist kein Kampfruf aus den 1968er Jahren der Studentenrevolte. Alles ist erlaubt, sagt der Apostel Paulus im 1. Korintherbrief. Sogar zweimal schärft er es ein: Alles ist erlaubt.
Bibelkundige Hörerinnen und Hörer werden einwenden, dass es bei Paulus mit einer Einschränkung weitergeht! Nämlich: Alles ist erlaubt, doch nicht alles baut auf, alles ist erlaubt, doch nicht alles dient zum Guten. Also wird es unter Christenmenschen nichts mit der großen Freiheit? Ich finde, dass der Apostel Paulus in diesem Fall eine sinnvolle Warnung ausspricht. Paulus sieht klar, dass jede Freiheit immer doppelt gefährdet ist. Nicht nur dann, wenn sie ängstlich vermieden wird – so wie es die 68er ihren Eltern vorgeworfen haben, sondern auch dann, wenn sie rücksichtslos ausgenutzt wird.
Ihre Freiheit können Menschen verspielen. Man braucht nämlich schon Mut zur Freiheit. Noch mal zu den 68ern: Nach dem Krieg hatten sehr viele Menschen in der Bundesrepublik wenig Lust, sich mit der nationalsozialistischen Vergangenheit auseinanderzusetzen. Die 68er haben sehr zu Recht den Muff unter den Talaren beklagt – und damit waren nicht nur die Talare der Universitätsprofessoren, sondern auch die der Richter gemeint, die oft genug eine dunkelbraune Vergangenheit hatten. Wer damals nachgehakt und nachgefragt hat, ist schnell unter Druck geraten. Es hat Mut gekostet, den Mund aufzumachen. Das ist bis heute so.
Die Freiheit, zu der Paulus ermutigt, ist aber auch gefährdet, wenn sie als Vorwand dient, sich alles herauszunehmen. Wenn ich mir die Freiheit anmaße, Hassposts zu senden oder andere zu bedrohen oder Gewalt auszuüben. Wenn ich mir in der Familie rücksichtslos alles herausnehme, ohne an die anderen zu denken. Wenn ich in meinen Arbeitsbeziehungen nur meine eigene Karriere verfolge. Das zerstört Beziehungen. Oft genug zerstört das sogar Leben. Deshalb lebt Freiheit davon, dass man die Freiheit anderer Menschen respektiert. Freiheit kann sich nur im lebendigen Netzwerk unserer Beziehungen frei entfalten. Freiheit funktioniert, wenn sie konstruktiv wirkt. Und gut tut.
Einfach ist die Sache mit der Freiheit nicht – ganz klar. Christliche Freiheit ist kein Geschenk, das man sich ins heimische Regal stellen kann und dann muss sie nur noch ab und zu abgestaubt werden. Für Freiheit muss man kämpfen. Mutig. Und liebevoll. In Beziehung.
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