SWR Kultur Wort zum Tag
Toleranz ist alles andere als selbstverständlich. Bestes Beispiel dafür ist Jesus Christus selbst. Schon erstaunlich, dass die Bibel die Geschichte eines ziemlich intoleranten Jesus bewahrt und nicht aus dem Evangelium getilgt hat. Jesus wird in der Geschichte durchaus in einem schlechten Licht gezeigt – zumindest nicht im allerbesten. Konkret geht es um die Begegnung Jesu mit einer Frau aus der Provinz Syrien, zu Jesu Zeiten ein multikulti-Gebiet, bewohnt von Leuten, mit denen viele nichts zu tun haben wollten. Diese Frau bittet Jesus inständig, ihre kranke Tochter zu heilen. Während er unzähligen anderen geholfen hat, weist Jesus diese Frau schroff ab. Er sei nur für seine eigenen Landsleute zuständig. Und Jesus setzt sogar noch eins drauf. Man gibt das Brot schließlich den eigenen Kindern und wirft es nicht den Hunden hin, sagt Jesus. Schrecklich, ohne Mitgefühl, eine grobe Beleidigung. Ausgerechnet Jesus grenzt einen Menschen aus. Dabei hat er kurz zuvor noch viele geheilt. Allerdings Menschen, die so ausgesehen haben wie er selbst.
Die Bibel beschönigt nichts. Intoleranz ist eher angeboren als Toleranz, sogar bei Jesus. Man kann das naturwissenschaftlich versuchen zu entschuldigen. Intoleranz ist natürlich. Schon ein Säugling muss unterscheiden lernen. Es ist überlebenswichtig, dass er weiß, zu wem er gehört, wem er vertrauen darf und wem nicht, er lernt die Gruppe kennen, zu der er gehört. Glücklicherweise wird die Natur durch die Kultur ergänzt. Wenn es gut läuft, besucht das Kind später einen Kindergarten, in dem es ganz unterschiedlichen Kindern begegnet und lernt, dass es mit den allermeisten gut gemeinsam spielen kann – unabhängig von Hautfarbe und Muttersprache.
Jesus war nicht in einem solchen Kindergarten. Erst als Erwachsener hat er eine entscheidende Lektion in Sachen Toleranz bekommen. Zu seinem Glück – und zu unserem! – hat sich die Frau nicht abschrecken lassen. Sie war hartnäckig. Und schlagfertig: Auch die Hunde bekommen ein paar Brocken vom Tisch ihrer Herren ab, meint sie. Eine Frau begegnet ihm auf Augenhöhe und lässt sich nicht einschüchtern. Jesus ändert seine Haltung, er erweist der Frau Respekt. Und die Tochter wird geheilt.
Das ist die gute Nachricht. Toleranz lässt sich erlernen. Es hilft, wenn man einander auf Augenhöhe begegnet. Und dem anderen eine zweite Chance gibt. So wie die Frau aus Syrien Jesus eine zweite Chance gegeben hat.
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