Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Im Sommer habe ich Urlaub am Bodensee gemacht. Dabei wollte ich unbedingt auch wieder das Münster in Konstanz besuchen. Dort hatten mich vor Jahren schon die glänzenden, kreisrunden Scheiben aus dem Mittelalter fasziniert, die in der Krypta der Kirche zu sehen sind.
Die größte dieser feuervergoldeten Kupferscheiben hängt über dem Altar. Sie hat einen Durchmesser von fast zwei Metern und zeigt Christus als Weltenrichter. Der Gottessohn sitzt auf einem Thron, flankiert von zwei betenden Engeln. Seine rechte Hand erhebt Christus zum Segen. In der linken hält er ein aufgeschlagenes Buch. So war mir diese Christusscheibe auch noch in Erinnerung. Nun wollte ich aber wissen, was auf dieser Buchseite zu lesen ist. In verkürzter lateinischer Schrift findet sich ein Satz aus dem Matthäus-Evangelium. Er lautet: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid! Ich will euch Ruhe verschaffen.“ (Mt 11,28)
Es ist dieses Jesuswort, das die Konstanzer Goldscheibe dem Betrachter nahe bringen will. Und das ist erstaunlich. Denn gewöhnlich zeigen Darstellungen des Jüngsten Gerichts, wie Christus am Ende der Zeit sein Urteil spricht über Lebende und Verstorbene. Die einen werden als Selige in den Himmel aufgenommen, die anderen als Verdammte hinabgestoßen in die Hölle. Von alledem ist hier überhaupt nicht die Rede. Jesus Christus teilt die Menschen nicht ein in Gute und Böse. Er spricht vielmehr eine Einladung aus: „Kommt alle zu mir, die ihr mühselig und beladen seid!“. Und er schließt eine Verheißung an: „Ich will euch Ruhe verschaffen.“ Es ist die zentrale Botschaft des Evangeliums. Der Künstler der Konstanzer Christusscheibe hat das vor gut 1000 Jahren verstanden. Die Einladung Jesu hat nichts von ihrer Aktualität verloren. Sie gilt auch den Menschen von heute.
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