Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Wie viele Kriege gibt es doch auf der Welt! Und wie oft spielt dabei die Religion eine wesentliche Rolle. Kriege unter Christen unterschiedlicher Konfessionen, vom dreißigjährigen Krieg bis in die heutige Ukraine. Kriege in der arabischen Welt zwischen Sunniten und Schiiten. Gewaltausbrüche fanatischer Hindus in Indien…
Der irische Satiriker Jonathan Swift hat schon im 18. Jahrhundert gesagt: „Wir haben Religion genug, um einander zu hassen, aber nicht genug, um einander zu lieben.“ Er hatte damals Irland im Blick und die Auseinandersetzungen zwischen Katholiken und Protestanten, die bis heute nicht zur Ruhe kommen.
Seine Analyse gilt immer noch. Dabei könnte Religion doch so etwas wie der innere Kompass sein, die Basis für ein gutes Zusammenleben. Aber auch in meinem Leben ist der Glaube nicht immer die innere Mitte. Da kann sich schon mal ein anderer Gedanke, ein anderer Wert in den Vordergrund schieben, und – zack – argumentiere ich, wie wenn ich mich nicht als Christin verstehen würde. Das geht ganz schnell und oft ohne dass mir‘s in dem Moment bewusst ist. Und das Gebot der Liebe, das für Jesus das höchste ist, dass muss dann einfach mal Platz machen für Sachzwänge, für politische Vernunft, für taktisches Denken und Handeln.
Der Kern der christlichen Ethik ist das Gebot der Liebe. Es ist eine dreifache Liebe: Liebe zu mir selbst, weil ich geschaffen bin und das Recht habe zu leben. Liebe zu anderen, weil sie – genau wie ich – geschaffen sind und – genau wie ich – das Recht haben zu leben. Und: Liebe zu Gott, der mit seiner liebenden Kraft alles Geschaffene leben lässt. So einfach ist das. So einfach könnte es sein, wenn alle, die sich Christen nennen, danach leben würden. Tun sie aber nicht, oft jedenfalls. Mich eingeschlossen.
Wenn ich aus meinem Glauben leben will, dann brauche ich diesen inneren Kompass des Evangeliums. Und das Gebot der Liebe ist für mich quasi die Kompassnadel. Und wenn ich in meinem Alltag Orientierung brauche, kann ich auf sie schauen, jederzeit.
Ich für mich kann sagen: Ja, ich möchte ‚mehr Religion‘ – aber nicht einfach mehr von derselben Sorte, sondern tiefere, authentischere und, ja, auch demütigere Religion.