Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Weißt du noch? Weißt du noch, damals….? Diese Frage kommt garantiert irgendwann, wenn ich mit ihnen zusammensitze, mit Schulkameradinnen, mit alten Freunden oder Verwandten. Und dann werden Erinnerungen ausgetauscht. Zum Beispiel auch Streiche, die alles andere als lustig waren und die wir heute glatt als Mobbing bezeichnen müssten. Frechheiten, die Lehrern das Leben schwer gemacht haben. Und doch amüsieren wir uns heute darüber und sind vielleicht auch noch stolz darauf.
Der Abstand macht‘s. Der Abstand reicht uns quasi die rosa Brille, die macht uns die Vergangenheit in der Erinnerung oft etwas schöner, als sie tatsächlich war.
Woher kommt das? Warum haben die meisten Menschen das Gefühl, die Vergangenheit sei besser gewesen als die Gegenwart, auch wenn es nachweislich nicht so ist? Da gibt es eine ziemlich einfache Erklärung: Das Vergangene haben wir schon irgendwie überstanden und überlebt, das wissen wir ja schon. Von der Gegenwart muss sich das erst noch zeigen.
Weißt du noch? Das Frühere hat immer etwas Heimatliches, fast sogar Heimeliges. Was für den Raum die Heimat ist, das ist für die Zeit die Vergangenheit: Es ist das Vertraute, das, was man kennt, wo man sich sicher fühlt. An mir selbst merke ich: Je älter ich werde, desto mehr neige auch ich dazu, die Vergangenheit zu verklären. Dabei weiß ich doch: Es gab auch Schweres, und unter manchem habe ich als Kind und als Jugendliche richtig gelitten. Nein, die Zeit war nicht besser, als ich jung war, sie war nur anders als die Gegenwart ist. Und wir waren auch nicht besser als die, die heute jung sind, nur eben anders.
Weißt du noch? Es tut gut, wenn ich diese Frage immer wieder stelle. Und zwar nicht nur anderen, sondern auch mir selbst. Weißt du noch, wie verzweifelt du warst, damals, als du keinen Ausweg gesehen hast – und dann hat es sich doch so gut gefügt.
Und wenn ich so versonnen zurückdenke, dann ist mir manchmal, wie wenn Gott mich fragen würde: Weißt du noch? Weißt du noch, wie ich an deiner Seite war, und dir geholfen habe, all das durchzustehen, was du dir nicht zugetraut hast? Und dann sag ich im Stillen: Ja, Gott, ich weiß es noch. Aber gut, dass du mich immer wieder daran erinnerst, denn manchmal vergess ich‘s auch.