SWR Kultur Wort zum Tag

20NOV2024
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Vor 60 Jahren ist sie gestorben, aber ihre Ausstrahlung nimmt von Jahr zu Jahr zu. Madeleine Delbrel gehört zu den Glaubenslehrerinnen, die in die Zukunft weisen, Sozialarbeiterin und Mystikerin zugleich. Was besonders beeindruckt, ist ihre handfeste realistische Art. Keine frommen Sprüche, keine Schlagzeilen, schlicht Alltag im Geiste Jesu. So sind auch ihre Schriften entstanden, wahrhaft Vollwertkost für alle, die mehr wollen, als sie sind. Hier nur ein Beispiel aus ihren Meditationen:

„Jeden Morgen, wenn wir aufwachen, begegnen wir als erstes unserem Leib. Diese Begegnung ist nicht immer angenehm; und dieses Zusammensein, das bald freundlich, bald aufgebracht ist, zieht sich durch den ganzen Tag.“ Beim ersten Lesen schon war ich völlig überrascht: so simpel die Beobachtung ist, ich hatte bisher nie daran gedacht. Die erste Begegnung am Tag ist die mit meinem Körper, selbst wenn ich nur unbewusst Gebrauch von ihm machte. Ich habe ja nicht nur einen Körper, ich bin es. Auch dass diese Begegnung nicht unbedingt angenehm ist, kann ich bestätigen. Der berühmte Blick in den Spiegel fällt öfter kritisch aus; es kommt vor, dass ich mich nicht ansehen und ausstehen kann. Jedenfalls ist jeder Morgen eine Einladung, mich mit mir selbst zu befreunden. 

Madeleine Delbrel outet sich als Christin, wenn sie entschieden für Leib- und Seelsorge plädiert. Immerhin darf ich mich ja als Gottes Geschöpf verstehen, das genaue Gegenteil eines Missgeschicks oder einer Fehlleistung. Und ich bedarf der Pflege. Gottesglaube und Selbstsorge widersprechen sich nicht. Ich bin vielmehr proaktiv beteiligt an der Bewahrung der Schöpfung, wenn ich pfleglich mit mir selbst umgehe. „Wer sich selbst nichts Gutes tut, wie kann er anderen Gutes tun? Er ist der Grausamste aller Menschen“. So heißt es einmal in der Bibel (Sir 14,5f). Madeleine Delbrel meditiert das sehr konkret: Stimmungen, Unlustgefühle, Schmerzen  - „nichts von alledem ist einfach nur etwas Negatives“ , schreibt sie, „es sind im Gegenteil die Bedingungen, unter denen Gott zu uns kommt. Wenn wir so den Willen Gottes in unserem Leib erkennen, müssen wir die kleinste Zelle davon respektvoll behandeln.“

Der tiefste Grund für solche Hochachtung vor dem Körper ist für Madeleine Delbrel klar. Es ist Jesus Christus selbst, der einladend sagt: „Das ist mein Leib, das bin ich für euch und für alle“.

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