Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
Manchmal finden auch alte Hüte neue Freunde. Der Bischof einer evangelischen Landeskirche will dem Schwund und der Entfremdung der Kirchenmitglieder dadurch begegnen, dass jede Kirchengemeinde einen Besuchsdienst einrichtet. Menschen aus der Gemeinde sollen nacheinander alle Gemeindemitglieder besuchen, mit ihnen ins Gespräch kommen, ihre Bedürfnisse, auch ihre Kritik erfahren und über die Gemeinde informieren.
Früher gab es solche Besuchsdienste häufig, inzwischen sind sie vielerorts in Vergessenheit geraten - weil weniger Menschen zu dieser Aufgabe bereit sind, Gemeinden ihren Mitgliedern nicht auf die Pelle rücken wollen und die Gemeinden durch Zusammenlegung größer und anonymer geworden sind. Es gibt aber noch einen tieferen Grund. Wenn ich mit engagierten Gemeindemitgliedern spreche, dann höre ich oft die Klage: Wir machen doch so viel und es kommen so wenige – zum Gottesdienst, zum Familiensonntag, zum Bibelkreis oder was auch immer. Hier treffe ich auf die Erwartung, dass die Leute doch kommen müssten. Dass sie doch einsehen müssten, wie gut das Angebot der Kirche ist und wie hilfreich. Sie kommen aber nicht. Was können Gemeinden da tun?
Ich schaue auf die Anfänge der Kirche: Jesus selbst war ein Wanderprediger, und die Apostel sind in alle Winkel der damals bekannten Welt gereist, um das Evangelium zu verkünden. Sie sind dahin gegangen, wo die Menschen waren, an Brunnen, auf Plätze, an die Tore der Städte. Sie sind auf die Menschen zugegangen, haben nicht erwartet, dass sie kommen. Gewiss nicht alle, aber viele haben sie so für die Botschaft Jesu Christi gewinnen können.
Nicht die Methode, aber die Haltung lässt sich auf heute übertragen: Nicht warten, dass jemand kommt. Sondern auf die Menschen zugehen, mit ehrlichem Interesse an ihrer Situation, großem Respekt vor ihrer Meinung und hoher Sensibilität für ihre Bedürfnisse. Wenn diese Haltung hinter den neuen Besuchsdiensten steckt, dann könnten sie tatsächlich mehr sein als ein alter Hut. Dann sind sie ein Schritt zu einer zuhörenden und zugehenden Kirche.
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