Anstöße SWR1 RP / Morgengruß SWR4 RP
In einer Diskussion über das Bürgergeld und Flüchtlinge, die vorgeblich in unser Sozialsystem einwandern, wurde mir vorgehalten: Schon in der Bibel steht „Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen.“ Offenbar eine klare Ansage gegen die Faulen und Drückeberger. Und eine Unterstützung für die Fleißigen und Tüchtigen und deren Arbeitsmoral. Nur, so ist das gar nicht gemeint:
Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Dieser Satz wird dem Apostel Paulus zugeschrieben. Er richtet sich an eine Gemeinde, in der es drunter und drüber geht. Viele Gemeindemitglieder glauben, dass Jesus noch zu ihren Lebzeiten wiederkommt und dass das Ende der Welt bevorsteht. Deshalb halten sie es für überflüssig, sich noch um die alltäglichen Dinge zu kümmern. Wozu denn noch Arbeit, Mühe und Sorge, wenn Christus sowieso bald wiederkommt? Diese Schwärmerei entsetzt Paulus. Er setzt sein eigenes Beispiel dagegen. Bei seinen Reisen durch die christlichen Gemeinden hat er Wert darauf gelegt, niemandem zur Last zu fallen und sich nicht durchfüttern zu lassen. Als gelernter Zeltmacher hat er selbst Tag und Nacht gearbeitet, um ein gutes Beispiel zu geben. Und das obwohl Paulus selbst von der Hoffnung auf das Kommen Christi durchdrungen ist. Aber er ist realistisch genug, um die Notwendigkeiten des Alltags anzuerkennen. Noch ist Christus schließlich nicht wiedergekommen. Paulus dämpft die Begeisterung der Frommen mit seinem eigenen Beispiel. Er selbst wartet sehnsüchtig auf das Kommen Christi, arbeitet dennoch weiter und kümmert sich um sein Auskommen. Damit er anderen nicht zur Last fällt.
Wer nicht arbeiten will, soll auch nicht essen. Paulus zieht hier nicht gegen die Faulen zu Felde, sondern gegen die Unrealistischen, gegen die frommen Schwärmer, die meinen, sich um nichts mehr kümmern zu müssen. Ihnen hält er vor: Wer heute nicht arbeiten will, wird morgen nichts zu essen haben und anderen zur Last fallen. Wer heute seinen Alltag nicht ordnet, wird morgen im Chaos versinken. Den Schwärmern hält Paulus eine realistische Predigt: Verratet nicht die Gegenwart um der Zukunft willen! Sondern hofft auf die Zukunft und bewältigt zugleich die Gegenwart!
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