SWR1 3vor8
Manchmal müsse man einfach zuspitzen und maßlos übertreiben um etwas deutlich zu machen. So ist immer wieder mal zu hören. Mein Ding ist das nicht, aber auch der Bibeltext, der heute in den katholischen Kirchen verlesen wird, klingt danach. (Mk 12,38-40) Da warnt Jesus nämlich mit scharfen Worten vor den sogenannten Schriftgelehrten. Studierte, angesehene Leute waren das. Unstrittig ist: Diese Schriftgelehrten gehörten zur Elite der damaligen Gesellschaft. Waren geschätzte Ehrengäste, die man hofierte, denen man die vordersten Plätze einräumte. Manch einer verliert da schon mal die Bodenhaftung. Doch Jesus wirft ihnen pauschal vor, dass sie alle geltungssüchtig seien und raffgierig obendrein. So sehr, dass sie sogar Witwen um ihren Besitz bringen. Scheinheilige Blender durch und durch. Ein richtiger Rundumschlag ist das, der doch sehr nach dem pauschalen Runtermachen ganzer Gruppen klingt, wie wir es auch heute oft erleben. Differenziertes Hinsehen stört da nur.
Dabei kommt mir Jesus in der Bibel sonst anders entgegen. Als einer, der genau hinschaut, jeden einzelnen Menschen ernst nimmt. Aber hier spitzt er zu. Offenbar stehen für ihn die Schriftgelehrten für alle, die unter ihren Möglichkeiten bleiben, obwohl sie es besser wissen müssten. Für Menschen, die viel haben, ein komfortables Leben genießen und der Gesellschaft doch so vieles schuldig bleiben. Denn wer viel hat, könnte ja viel zurückgeben. Nur, das tun manche dieser Leute nicht oder zumindest viel zu wenig, sehen vor allem sich selbst. Und das passt einfach nicht zur Vision von Gottes neuer, anderer Welt. Dem Herzensthema Jesu. Bei euch aber, so schärft er seinen Jüngern ein, bei euch soll es nicht so sein. (Mk 10,43)
Ist es aber. Weil es halt so menschlich ist. Und weil es so schwer ist, sich frei zu machen vom Drang, immer noch mehr zu haben. Mehr Geld, mehr Besitz, mehr Ansehen. Sich frei zu machen von dem Wunsch, auch groß und wichtig zu sein. Angesehen und umworben. Weil das einfach guttut, aufbaut, die Seele streichelt. Schon seine Jünger konnten dem nicht widerstehen. Und viele ihrer Nachfolger in den Kirchen erst recht nicht. Ich merke das auch an mir. Auch ich hinke ja dem hohen Anspruch, den Jesus da formuliert, oft nur hinterher. Weil auch ich zum Beispiel viel mehr spenden, an Ärmere abgeben, die Welt ein wenig zu einem besseren Ort machen könnte – und es dann doch nicht tue. Und trotzdem gibt es sie schon: Diese neue, andere Welt Gottes, von der Jesus geträumt hat. Auch hier und heute. Klein oft und unscheinbar, aber es gibt sie. Überall, wo Menschen es schaffen, in Gottes Sinn zu leben.
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