SWR Kultur Wort zum Tag
Übers Wochenende hat sich auf dem Fußboden in den Fluren der Reha-Klinik ziemlich viel Dreck angesammelt. Kleine Steine und Brocken Erde, die wir von unseren Wanderungen mitgebracht haben. Im Vorbeilaufen höre ich, wie ein Patient zu der Frau, die die Zimmer sauber macht, sagt: „Ich war das nicht.“ Und dabei auf den Dreckbrocken im Flur vor seinem Zimmer deutet.
Was ist da passiert? Die Putzfrau hat sich nicht beklagt, und sie hat den Patienten auch nicht gefragt, ob er für den Schmutz verantwortlich sei. Sie hat ihn wie allen übrigen Dreck mit dem Staubsauger beseitigt. Trotzdem muss der Mann sich in der Pflicht gesehen haben, etwas zu sagen, was ihn von Schuld freispricht. Obwohl ihn gar niemand angeklagt hatte. Dabei hätte es durchaus Alternativen gegeben. Er hätte den Dreck auch selbst aufheben können, sofern er ihn wirklich gestört hat. Oder er hätte sich bei der Reinemachefrau bedanken können, dass sie sich um alles kümmert. Er hätte auch einfach nichts sagen und tun können. Aber er rechtfertigt sich ungefragt, und er tut es, indem er den Blick auf andere lenkt. Wenn er es nicht gewesen ist, müssen es andere gewesen sein. Die anderen sind schuld. Ich war das nicht.
Ich habe mich gefragt: Weshalb ist es dem Mann so wichtig, seine Unschuld zu betonen und sie so indirekt auf andere abzuwälzen? Er kann doch gar nicht so genau wissen, was so alles an seinen Schuhen war. Trägt er vielleicht eine andere Art von Schuld mit sich herum, die ihn belastet und die er gern los wäre? Das weiß ich alles nicht und muss ich auch nicht wissen. Ich weiß nur, dass es nicht gut ist, sich auf Kosten anderer, ein reines Gewissen zu verschaffen. Das funktioniert auch gar nicht, weil das Gewissen sich nicht überlisten lässt. Ein (ganz) reines Gewissen zu haben – wann kann das einer von sich behaupten?
Hier im konkreten Fall geht es nur um eine Stück Dreck auf dem Fußboden. Von Schuld ist dabei kaum zu sprechen. Wie oft aber geht es um echte Probleme, und einer versucht, sich die Hände nicht schmutzig zu machen. Ich war’s nicht, sagt der eine Partner, wenn andere mitkriegen, dass das Paar sich streitet. Wir wollen damit nichts zu tun haben, wenn Eltern sich gegen ein Kind entscheiden, sagt die Katholische Kirche, und zieht sich aus dem staatlichen System der Schwangerschaftsberatung zurück. Nur um der weißen Weste willen. Wenn sich jemand so aus der Affäre zieht, hinterlässt das bei mir immer ein schales Gefühl.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=41010