Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Was wäre, wenn wir uns für das Ende des Lebens genauso interessieren würden wie für den Anfang? Diese Frage hat mich neugierig gemacht. Der Palliativmediziner Steffen Eychmüller hat sie gestellt. Der Beginn eines Lebens hat unsere volle Aufmerksamkeit. Das habe ich bei der Geburt meines Enkels noch intensiver erlebt als damals bei der Geburt meines Kindes. Mein Sohn und seine Frau haben sich umfassend informiert. Was man während einer Schwangerschaft essen darf. Welcher Kinderwagen am besten ist, welcher Kindersitz fürs Auto. Die Hebamme haben sie sorgfältig gewählt. Und sie haben viel darüber gesprochen, was ihnen bei der Erziehung ihres Sohnes wichtig ist. Auch, wie sich ihre Beziehung als Paar verändern wird. Das ist so geblieben, seitdem der Junge auf der Welt ist. Was braucht er, dass er gut aufwachsen kann? Dass er lernt, was für das Leben wirklich wichtig ist? Ich finde richtig, wenn Kinder heute mit so viel Aufmerksamkeit ins Leben begleitet werden. Denn jedes Leben ist kostbar.
Umso mehr hat mich die Frage aufgerüttelt, was wäre, wenn wir uns für das Ende eines Lebens ebenso interessieren würden. Wenn wir selbstverständlich damit umgingen, dass unser Leben endlich ist. Dass wir uns von unseren Kräften und Fähigkeiten verabschieden müssen. Dass wir öfter krank werden können. Mein Vater ist 90 und mit ihm erlebe ich nach dem Tod meiner Mutter zum zweiten Mal, dass es mehrere Jahre dauert, um sich vom Leben wieder zu verabschieden. Manchmal sind es Kleinigkeiten, die zeigen, wie ignorant unsere Gesellschaft mit Menschen umgeht, die ihre letzten Jahre erleben. Zum Beispiel, wenn plötzlich nur noch per E-Mail kommuniziert werden kann obwohl alte Leute nicht selbstverständlich über digitale Medien verfügen. Oder wenn die Frau im Finanzamt nicht bereit ist, einem alten Mann die Vordrucke für die Steuererklärung zuzuschicken, sondern von ihm verlangt, sie selbst abzuholen. Mich überzeugt, was Steffen Eychmüller sagt: Es ist wichtig den Wert des Lebensendes neu zu definieren. Dass wir alte Menschen nicht als Last sehen. Sie haben ein Recht darauf, dass wir würdevoll mit ihnen umgehen in den letzten Jahren ihres Lebens. Lernen können wir dabei von den Kindern. Mich fasziniert jedes Mal, wenn mein Enkelsohn auf seinen Uropa trifft. Er begegnet ihm automatisch so andächtig und respektvoll, dass jeder sehen kann, wie wertvoll der alte Mann ist. Mit allem, was er in 90 Jahren erlebt hat.
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