Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Überraschend. Erstaunlich. Unfassbar. So kann das Leben manchmal sein. Wie das Leben von Johanna. Sie ist eine Kollegin. Mit 40, unverheiratet und kinderlos, hatte sie mit dem Thema Familie abgeschlossen. Und dann ist sie umgezogen in ein anderes Dorf, hat sich verliebt und wurde unerwartet schwanger. Ich weiß noch, wie sehr ich mich mit ihr gefreut habe. Johanna ist Grundschullehrerin und geht mit Kindern großartig um. Sie würde eine tolle Mutter sein. Und dann der Schock. Das Baby von Johanna und ihrem Mann ist kurz nach der Geburt gestorben. Das war nur schrecklich. Es war ein Moment, in dem ich mich wieder einmal gefragt habe, warum solche Schicksalsschläge sein müssen. Darauf gibt es keine Antwort. Ich weiß. Aber wenn es so hart kommt, stellt sich die Frage einfach. Die Beerdigung war trotz allem tröstlich. Getragen hat die Vorstellung, dass das kleine Mädchen als Sternenkind im Himmel einen Platz gefunden hat. Glauben zu können, dass sie bei Gott aufgehoben ist. Getragen hat auch die Gemeinschaft. Viele Menschen sind auf den Friedhof gekommen. Die Eltern waren nicht allein mit ihrem Kummer.
Wenige Monate später wurde Johanna wieder schwanger. Ich habe ihren Mut bewundert. Wieder ist ein kleines Mädchen auf die Welt gekommen. Sie ist inzwischen zwei Jahre alt, quicklebendig und große Schwester von Brüdern, die als Zwillinge geboren sind. Für Johanna und ihren Mann gehört selbstverständlich auch ihr verstorbenes Kind zur Familie. Ihr Geburtstag wird gefeiert, ihr Todestag bedacht und ihr Grab sorgfältig gepflegt.
Wenn ich an Johanna denke, fällt mir immer die Liedzeile ein: „Wunder gibt es immer wieder…“. Unglaublich, wie sich ihr Leben gewendet hat. Was mich beeindruckt: Johanna hat das Leben immer genommen, wie es sich ihr gezeigt hat. Schmerzhaft, niederschmetternd, beglückend und wundervoll. Sie ist nicht stecken geblieben im Schmerz. Hat auch nicht damit gehadert, warum gerade ihr das passieren muss. Und sie hat mit zwei anderen Müttern einen Stammtisch gegründet, um ihre Erfahrungen mit Eltern teilen zu können, die auch ein Kind verloren haben. Nicht jeder Mensch ist so gesegnet. Und ich verstehe sehr gut, wenn Schicksalsschläge einen auch für lange Zeit aus der Bahn werfen. Aber ich wünsche jedem Menschen, möglichst nicht müde zu werden und daran zu glauben, dass Wunder immer wieder geschehen.
Stammtisch für verwaiste Eltern und Angehörige jeden ersten Dienstag im Monat um 20 Uhr im LTT-LOKAL Eberhardstr. 6 72072 Tübingen
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