SWR1 Begegnungen

03NOV2024
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Günter Caszny copyright: Manuela Pfann

… und mit Günter Czasny. Ich treffe mich mit ihm, weil er ein Experte für Friedhöfe ist und weil er eine ungewöhnliche Vision hat. Gemeinsam mit der Initiative „Raum für Trauer“ möchte er Friedhöfe zu Begegnungsorten machen. Das macht mich neugierig – und irritiert mich. Weil ich mir das nicht vorstellen kann. Egal wer aus meiner Familie oder meinem Bekanntenkreis gestorben ist - nach einer Beerdigung bin ich nur selten zurückgekommen an den Ort der Beisetzung. Und da bin ich nicht die Einzige. In einer Studie[1] sagen zwei von drei Befragten: Das Grab oder den Friedhof brauche ich nicht zum Trauern. Für mich stellt sich daher die Frage: Brauchen wir künftig gar keine Friedhöfe mehr?

Meine Sicht ist da ein bisschen anders, weil ich natürlich auf vielen Friedhöfen sehe, was dort geschieht, wie sich Menschen auf Friedhöfen verhalten, wie viele Menschen eben doch auf den Friedhof gehen, die vorhin sagten ist gar nicht wichtig. Ganz so ohne ist der Friedhof vielleicht doch nicht.

Günter Czasny ist seit vielen Jahrzehnten auf Friedhöfen unterwegs; er arbeitet in einer Kunstgießerei und gestaltet Skulpturen für Friedhöfe und Schmuck für Gräber, zum Beispiel Kreuze oder Figuren. Und er beobachtet die Veränderungen auf den Friedhöfen: Es gibt inzwischen viel mehr Urnengräber und anonyme Bestattungen. Die Angehörigen wollen oder können sich nicht mehr um die Grabpflege kümmern, sagt er. Oft hinterlassen auch die Verstorbenen selbst die Botschaft: Macht Euch keine Arbeit mit meinem Grab, ich will niemandem zur Last fallen. Doch an genau diesem Punkt gibt es ein Problem:

Das, was Menschen an diesen Beisetzungsorten tun, das Ablegen von Blumen, Kerzen hinstellen, Engelchen, all diese Dinge hat nichts mit Grabpflege zu tun. Grabpflege ist was anderes. Das sind Trauerhandlungen.

Aber die sind auf den traditionellen Friedhöfen oft nicht vorgesehen; zum Beispiel bei Urnengräbern oder wenn ein Baum als Bestattungsort gewählt wurde. Wird dann ein Brief oder ein Stofftier hinterlassen, räumt die Friedhofsverwaltung das in der Regel wieder weg. Aber genau das ist aus Sicht der Trauerforschung so wichtig, sagt Czasny. Die Verbindung mit dem Verstorbenen zu pflegen.

Eine gelebte Beziehung, die ist selbst durch den Tod nicht beendet. Die bleibt, die schwingt in uns nach. Und gerade durch Verlustschmerz pulsiert die, die blubbert unglaublich in uns. Das tut weh und sie wird immer in uns bleiben. Und Beziehung lebt von Kommunikation. Nur wer kommuniziert hat Beziehung. Aber wenn wir es dann verbieten, dann nehmen wir was ganz Wesentliches an diesen Orten weg. Somit sind das auch keine gut funktionierenden Trauerorte.

Deshalb müsse man die Perspektive ändern. Das hat sich die Initiative „Raum für Trauer“ um Günter Czasny zur Aufgabe gemacht. Soziologen arbeiten da beispielsweise mit, Landschaftsarchitekten, Trauerforscher, Steinmetze und Bestatter. Den Friedhof also nicht mehr als Ort der Toten verstehen, …

… sondern zu sehen, was passiert eigentlich mit denen, die die Friedhöfe besuchen. Dass das ja eigentlich die Zielgruppe ist und sich darauf zu konzentrieren. Was brauchen diese Menschen, wie ist deren tatsächliches Bedürfnis?

Die Antwort, die die Initiative auf diese Fragen gefunden hat – die fasziniert mich. Man kann sie anschauen. Auf einem Modellfriedhof in Süßen bei Göppingen. „Campus Vivorum“ heißt er – übersetzt: „Feld für die Lebenden“. Wie es da aussieht - davon erzähle ich nach der Musik.

Teil 2

Günter Czasny ist Experte für Friedhöfe und ausgebildeter Trauerbegleiter. Und er ist der Initiator des „Campus Vivorum“, das ist ein Modellfriedhof in Süßen bei Göppingen. Überall zwischen den Gräbern gibt es da kleine Sitzgelegenheiten, ein wunderschöner Sinnesgarten zum Durchspazieren ist angelegt. Es gibt einen nach oben offenen Raum aus braun-rotem Stein mit einer großen Tafel, um was aufzuschreiben. Und mitten auf dem Campus steht ein großer Steintisch mit Wasserlauf und Bänken. Muss ein Friedhof in Zukunft so aussehen, damit Menschen gut trauern können?

Wie muss er wirken? Würde ich gern ergänzen. Er sollte die Menschen so empfangen, dass sie spüren: Die, die diesen Friedhof gestaltet haben und verantworten, haben sich Gedanken gemacht über mich und vor allem über meine Trauersituation. Mir geht es nicht gut. Dass ich da vielleicht auch mal eine Kerze aufstellen darf oder mal was ablegen darf, obwohl ich gar kein Grab habe. Oder da ist gar niemand gestorben. Ich habe tiefste Trauer, weil eine Beziehung zu Bruch gegangen ist. Arbeitsstelle, Gesundheit verloren, egal. Eins von diesen Dingen. Und dann wird der Friedhof für mich menschenzugewandt. Und ich glaube, das sind dann die Friedhöfe, die in der Zukunft bedeutsam werden.

Jetzt verstehe ich besser, weshalb Günter Czasny vom Friedhof als „Begegnungsort“ spricht. Wir leben in einer Zeit, in der er es viele Krisen und viele Verluste gibt. Das betrifft jeden von uns. Da braucht es einen Ort, wo Verlust Platz hat und wo ich mich darüber austauschen kann, wenn mir danach ist; wo ich nicht allein bin - da muss nicht erst einer sterben. Und einen Friedhof gibt es ja in jedem Dorf.

Dann wird er ein Begegnungsort sein, wo man sich gerne trifft, aber nicht gleich mit der Gießkanne losmarschieren muss, sondern vielleicht mal einen kleinen Picknickkorb dabei hat. Und da ist ein kleines Fläschchen Prosecco drin und man trifft sich und hat kein schlechtes Gefühl dabei.

Wenn es nach Günter Czasny geht, soll es für Kinder einen kleinen Spielplatz geben. Da schlucke ich aber doch nochmal. Ein Friedhof war in meiner Kindheitserinnerung immer verbunden mit: anständig benehmen, nicht zwischen den Gräbern rumspringen und auf keinen Fall laut sein.

Wir müssen ihn so ein bisschen aus dieser Verbotszone herausentwickeln, wir fremdeln ja ein bisschen. Und das Fremdeln geht nur weg, wenn man wieder Vertrauen entwickelt. Und dann braucht es einfach Beispiele. Und dieses Experimentierfeld soll ja nur ein Beispiel sein.

Allerdings eines, das auf sehr großes Interesse stößt. Den Modellfriedhof in Süßen gibt es jetzt sei gut einem Jahr. Seither kann Czasny sich vor Anfragen kaum retten. Bürgermeister kommen, Leute von der Kirche, Friedhofsverwalter, Stadtplaner. Es scheint, als ob die Zeit für diese Idee tatsächlich reif ist; den Friedhof zu einem Begegnungsort zu machen.

Am Ende unseres Gesprächs fasst Günter Czasny diese Vision noch ein bisschen weiter. Sie klingt ein bisschen verrückt, aber gleichzeitig auch verheißungsvoll. Die Trauerpsychologie spricht vom Friedhof als möglichem Therapieort.

Wir haben in Deutschland 32.000 Friedhöfe und wenn wir uns die dann als Therapieorte vorstellen und die ordentlich funktionieren und dem Bürger guttun und die Bürger sagen ja, ich finde das schön mit unserem Friedhof, der tut mir gut, ich habe ihn ein bisschen liebgewonnen. Vielleicht brauchen wir dann 30 Jahre, bis es so weit ist. Aber wenn ich mich dort hindenke, ist es ein gutes Gefühl.

 

 

 

 

 

https://raum-fuer-trauer.de/campus-vivorum/

 

[1] Raum für Trauer – Erkenntnisse und Herausforderungen, Hg. Arbeitsgemeinschaft Friedhof und Denkmal, Kassel.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40977
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