SWR4 Abendgedanken

06NOV2024
AnhörenDownload
DruckenAutor*in

Beim Wandern in Südbaden komme ich an eine schöne Stelle. Wo man einen traumhaften Ausblick ins Rheintal hat. Vor mir die Ausläufer des Schwarzwalds, am Horizont die Vogesen, und dazwischen die vielen Straßen und Wege, auf denen Menschen von A nach B unterwegs sind. Es ist ein besonderer Ort, an dem ich stehe. Das haben vor mir schon andere bemerkt und deshalb dort auch Bänke aufgestellt, zum Ausruhen und Schauen. Auf eine setze ich mich, ruhe und schaue. Das mache ich nicht oft, weil ich es wohl nicht so gut kann. Sondern eher unruhig und ungeduldig bin. Aber hier funktioniert es.

Erst versuche ich ein bisschen Ordnung in das zu bringen, was mein Auge wahrnimmt. Wo Frankreich beginnt, wo ich dort im Elsass schon war, wo wohl die Grenze verläuft. Welche Rebsorten es sein könnten drüben am Hang, weil das Laub unterschiedlich gefärbt ist. Ich sehe ein paar Wanderer und die Autos auf der Straße weiter unten, winzig klein. Und auf einmal verändert sich mein Blick. Er geht buchstäblich von außen nach innen. Wie groß schon dieser kleine Ausschnitt von Welt ist, den ich gerade anschaue, und wie groß dann erst die ganze Welt. Und ich auf dieser Bank, quasi ein „Nichts“.

Vor vielen, vielen tausend Jahren ist die Oberfläche im Rheintal so geformt worden, wie sie heute ist, wie ich sie kenne und jetzt sehe, wie sie auf allen Karten dargestellt wird. Aber erst der Rhein, als er noch so viel mehr Wasser geführt hat wie heute, hat das Tal so breit gemacht und die Berge hüben und drüben aufgerichtet. Nun sitze ich nicht mehr nur und schaue, sondern ich staune. Ich staune über das Ungeheure, das Unvorstellbare, das ich da sehe. Welche Kräfte hinter all dem stecken. Wie kunstvoll und schön die Landschaft ist und wie viel Nutzen wir Menschen daraus ziehen. Wein und Äpfel, Straßen und Wälder. Auch welchen Stempel wir der Welt dadurch aufdrücken. Und schließlich staune ich darüber, wie selbstverständlich das alles für mich normalerweise ist. Als ob es gar nicht anders sein könnte. Als ob die Welt nur für mich so gemacht wäre, dass ich alles habe, was ich zum Leben brauche.

Aber das ist nicht so. Und auch das wird mir in diesen Augenblicken da auf der Bank über dem Rheintal bewusst. Nichts ist selbstverständlich von dem, was ich sehe. Und von dem, was ich habe, auch nicht. Und vielleicht verstehe ich zum ersten Mal wirklich, was der Psalmist meint, wenn er schreibt: Ich danke dir, dass du mich so wunderbar gestaltet hast. / Ich weiß: Staunenswert sind deine Werke.[1]

 

[1] Psalm 139,14

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40974
weiterlesen...