SWR4 Abendgedanken
Angst zu haben, das gehört zu uns Menschen. Ängste sind wichtig, damit wir, wenn’s darauf ankommt, die Flucht ergreifen. Dieser Urinstinkt hilft uns, nicht unnötig in eine Gefahr hineinzulaufen. Wenn die Ängste aber außer Kontrolle geraten, wenn sie uns überwältigen, dann wird das Leben zur Hölle, und wir laufen auch dann weg, wenn gar keine echte Gefahr besteht. Deshalb sollte man mit der Angst von Menschen kein Spiel treiben. Aber genau das versuchen manche, leider auch die, die politische Verantwortung tragen. Weil sie wissen: Es ist eine Möglichkeit, Menschen zu beeinflussen. Ängste zu schüren, ist aber brandgefährlich!
Donald Trump hat genau das getan, als er im Fernsehduell mit Kamala Harris behauptet hat, dass die Flüchtlinge Hunde und Katzen fangen und essen. Ich liebe meinen Hund; und wenn ich mir das Bild vorstelle, das Trump hervorruft, dann graut es mir. Ich könnte denken: „Der wird verhindern, dass das passiert, also wähle ich den.“ Angst vor dem Fremden zu schüren, war und ist immer ein beliebtes Mittel, um auf Stimmenfang zu gehen. Leider hat das auch die Kirche lange praktiziert. Sie hat den Menschen Angst gemacht vor der Hölle, ihnen gedroht, um sie in ihrem Sinn gefügig zu machen, damit sie nicht auf vermeintlich falsche Gedanken kommen. Als ob sie die Wahrheit gepachtet hätte. Als ob es keine andere Meinung geben könnte.
Manchmal kommt es mir vor, als ob unsere Welt ein Stammtisch wäre. Man kann behaupten, was man will. Egal, ob es überhaupt wahr sein kann, oder doch falsch ist. Wer bei uns Asyl sucht, ist nicht grundsätzlich faul. Die Hautfarbe sagt nichts über den Charakter. Nicht jeder Priester vergreift sich an Kindern. Am Stammtisch geht es darum, wer am lautesten schreit und wem es gelingt, die Gefühle der anderen für sich zu gewinnen. Gefühle sind eine sensible Angelegenheit. Sie gehören zu uns, machen uns manchmal erst menschlich. Wer sie missbraucht, trifft uns an einer Stelle, wo wir besonders verwundbar sind. Deshalb bleibe ich vorsichtig. Wer leere Phrasen drischt, dem vertraue ich nicht. Wer es darauf anlegt, meine Gefühle zu manipulieren, den meide ich. Und halte mich um so mehr an die, die leise sind und nachdenklich und vorsichtig und zart.
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