SWR4 Sonntags-/Feiertagsgedanken
Das Wichtigste auf der Welt, die oberste Priorität. Was ist das bloß? Ich konzentriere mich hier einmal auf den Bereich des Glaubens. Also auf die Frage: Was ist das Wichtigste, wenn jemand an Gott glaubt. Das herauszufinden, da könnte einem ganz schön viel in den Sinn kommen. Der Papst, wenn man katholisch ist. Oder Martin Luther für Protestanten. Aber das ist natürlich Quatsch und reicht noch längst nicht, wenn es um das Allerallerwichtigste geht. Die Bibel, weil es die Heilige Schrift ist, und dort vielleicht die Zehn Gebote im Alten Testament oder die Bergpredigt im Neuen. Womöglich kommt man mit dieser Antwort der Sache schon näher. Als Jesus einmal direkt danach gefragt wurde, hat er das Folgende gesagt: Du sollst den Herrn, deinen Gott, lieben mit ganzem Herzen und ganzer Seele, mit deinem ganzen Denken und mit deiner ganzen Kraft. Und: Du sollst deinen Nächsten lieben wie dich selbst[1].
Jesus macht es also ziemlich konkret und verständlich, wenn er sagt: Es geht vor allem anderen immer und zuerst um die Liebe. Das ist, finde ich, eine großartige Antwort, der ich sofort hundertprozentig zustimme. Sie ist aber auch schwierig, weil die Liebe etwas so Großes ist, und oft von ihr gesprochen wird, ohne dann genau zu wissen, was eigentlich damit gemeint ist. Liebe: Das können große Gefühle sein. Es kann bedeuten, dass ein Mensch sich einem anderen völlig hingibt, alles um sich herum vergisst. Dann aber besteht auch die Gefahr, dass Liebe blind macht und einen vergessen lässt, wie schlicht die Wirklichkeit ist und wie heftig es oft auf unserer Welt zugeht. Es sind schon schlimme Dinge passiert, und nachher hat einer gesagt, er habe es aus Liebe getan. Gerade wenn’s um Religion geht, wird das Reden über die Liebe gern missbraucht für egoistische Interessen.
Trotzdem halte ich hier einmal fest: Für Jesus ist die Liebe das Größte, das Wichtigste von allem. Eben auch in Glaubensdingen, auch wenn es darum geht zu sagen, was Gott von uns erwartet. Es geht, sagt Jesus, um die Liebe zu Gott und um die Liebe zum Nächsten, also zu dem Menschen, der mir eben gerade nahesteht. Den soll ich lieben.
Was damit konkret gemeint ist, davon gleich mehr nach einer kurzen musikalischen Denkpause.
INSTRUMENTALES ZWISCHENSPIEL
In den SWR4-Sonntagsgedanken geht es heute darum herauszufinden, was das Wichtigste von allem ist. Das Zwischenergebnis lautet: Das Größte ist die Liebe. Aber wie muss ich die Liebe verstehen und dann auch leben, damit sie tatsächlich das Wichtigste wird?
Von Franz von Assisi wird berichtet, er sei ein liebenswerter und liebevoller Mensch gewesen. Die Tiere und Pflanzen hat er als Mit-Geschöpfe des Menschen angesehen. Anderen Menschen ist er mit fast grenzenlosem Vertrauen begegnet. Der englische Schriftsteller Gilbert Chesterton hat sich intensiv mit Franziskus beschäftigt. Er kommt zu dem Ergebnis, dass Franz bei aller Liebe nicht naiv oder blauäugig war. Wörtlich schreibt Chesterton: „Er (also Franz) ehrte alle Menschen und das besagt, dass er sie nicht nur liebte, sondern auch alle achtete.[2]“ Zu einer Liebe, die wirklich groß sein will, größer als alles andere, gehört also, dass man den Menschen achtet, den man liebt. Was für mich so viel bedeutet wie, dass man ihm Respekt erweist. Und damit seine Freiheit akzeptiert, ihn also nicht in eine bestimmte Richtung zwingen will, schon gar nicht, so zu werden wie man selbst.
Achtung – Respekt – Freiheit. Das sind die Spielregeln für wahre Liebe. Sie gelten in der Liebe zu Gott und zum Nächsten. Ich versuche sie nun möglichst konkret zu machen, damit am Ende wirklich deutlich wird: Solche Liebe ist das Größte, das Wichtigste.
Jemanden zu achten, weil man ihn liebt, bedeutet: Ich traue dem anderen etwas zu, mindestens so viel, wie ich mir selbst zutraue, am besten aber mehr. Ich nehme ernst, wenn er eine andere Meinung hat und lasse diese gelten. Ich sehe in ihm etwas Einmaliges.
Jemanden zu respektieren, weil man ihn liebt, bedeutet: Ich komme niemals auf die Idee, mich für etwas Besseres zu halten, mich über den zu stellen, den ich liebe. Ich lasse mir von ihm etwas sagen, mich korrigieren und nehme Kritik dankend an. Und ich lasse ihn spüren, wie sehr ich ihn schätze und zeige das auch unübersehbar.
Jemanden als frei zu betrachten, weil man ihn liebt, bedeutet schließlich: Ich darf nie Zwang ausüben, nie versuchen, den anderen mit Gewalt zu etwas drängen oder ihn für meine Interessen zu vereinnahmen. Wo Macht ins Spiel kommt, die immer Recht haben will, hat die Liebe keine Chance.
Jesus hält die Liebe für das Wichtigste von allem – überall und für alles.
[1] Markus 12,30f.
[2] G.C. Chesterton, Der heilige Franziskus von Assisi, 1923, 93.
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