SWR Kultur Zum Feiertag

St. Martin, der seinen Mantel mit einem Bettler geteilt hat, Bischof Nikolaus, der seine Würde als Heiliger schon bald wieder gegen den profanen Weihnachtsmann verteidigen wird. Oder die Mystikerin Teresa von Avila als erste Frau im offiziellen Status einer Kirchenlehrerin: Diese Heiligen sind auch mir als evangelischer Pfarrerin wohl bekannt. Aber spätestens nach ein paar Dutzend weiterer Namen versiegen meine Kenntnisse. Dabei zählt die katholische Kirche inzwischen nahezu 14000 Heilige, Selige und Märtyrer in ihrem Kalender. Und heute ist ihr Tag: Allerheiligen.
Der katholische Theologe und Musikwissenschaftler Meinrad Walter ist mit vielen Heiligen aufgewachsen. Eine katholische Kindheit mit feierlichen Prozessionen und fröhlichen Patronatsfesten. Heute arbeitet er als Professor an der Hochschule für Musik und im Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg. Er bedauert, dass der Festtag aller Heiligen vom darauffolgenden Allerseelentag mit Totengedenken und Friedhofsbesuchen buchstäblich in den Schatten gestellt wird:
Der 1.11. ist eigentlich ein sehr österlicher Tag, ein herbstliches Fest, was eigentlich sehr hell leuchten soll. Als jemand, der auch Musik macht, sehe ich so die Heiligen quasi in einem Ensemble. Es ist ein großes Ensemble. Manchmal wird es auch in Liedern als Chor beschrieben. Dann singen die Bekennerinnen, und dann singen die Märtyrer, Und dann singen die Heiligen Jungfrauen und was es alles gibt.
In dieser bunt gefächerten Gemeinschaft der Heiligen finden sich Stars und Sternchen und auch große Unbekannte. Da gibt es den Namenspatron des Professors, den Heiligen Meinrad, der das Kloster Einsiedeln in der Schweiz gegründet hat. Oder die Heilige Wiborada, die im elften Jahrhundert als erste Frau von der Kirche heiliggesprochen wurde. Sie hat ihr Leben eingemauert in einen Turm verbracht, ohne Tür, nur mit zwei Fenstern: eins in die Kirche hinein, eins zur Welt hinaus. Heute betreiben ihre Anhängerinnen eine digitale Plattform, auf der man spirituelle Übungen herunterladen kann. Ich frage mich: Fehlt uns etwas in der evangelischen Kirche so ganz ohne Heilige?
Wenn ich in meine katholische Kirche gehe, dann sehe ich den Heiligen Jakobus, weil die liegt im Schwarzwald, an einem Jakobus-Pilgerweg. Dann sehe ich Statuen, dann sehe ich ein ganzes Marienleben mit biblischen Dingen, wo jeder Protestant mitgehen kann. Ich glaube, die evangelische Gefahr ist, dass diese Buntheit ein bisschen verloren geht. Die katholische ist, dass es so bunt, so vielstimmig wird, dass man den Grundton Christus ein bisschen vergessen könnte, das ist dann auch schade.
Auch Evangelische Theologen sagen, wir haben zu wenig Gespür, dass es Menschen gibt, die sind außerordentlich. Bei uns sind alle immer gleich. Und das andere ist so eine Idolisierung: Das ist mein Gott! Also ich glaube, das eine ist so falsch wie das andere. Und das Heilige ist doch so irgendwo in der Mitte, das sind Menschen wie du und ich. Aber sie sind doch besonders begnadet. Im Ulmer Münster ist Johann Sebastian Bach so dargestellt wie die Heiligen und Apostel in katholischen Kirchen, nämlich als Person der Kirchengeschichte auf einem Sockel, quasi mit Orgelpfeifen und so weiter. Ähnlich Paul Gerhardt. Also irgendwie braucht es solche, jetzt nennen wir es mal Identifikationsfiguren, um das Wort Heilige zu vermeiden. Und ich glaube, das ist auch was Gutes. Das sind Personen, die herausragen, die man als Vorbild nehmen kann, die erst mal schlicht eine Präsenz haben.
Identifikationsfiguren, Vorbilder, charismatische Persönlichkeiten: Zu diesen Begriffen fallen mir etliche Personen ein. Bei einem Heiligen argwöhne ich: Es kann doch nicht sein, dass einer in seinem Leben nur Leuchtspuren hinterlassen hat! Und frage mich: Wo hat der wohl seine versteckten Schattenseiten? Ein Vorbild wäre für mich aber gerade ein Mensch, der mir auch zeigt, wie man auf gute Weise zu seinen Fehlern stehen kann. Und ich finde es eine Stärke protestantischer Theologie, dass sie Menschen gerade in ihrer Anfälligkeit zum Scheitern, theologisch gesprochen als Sünder ernst nimmt. „Ich bin kein ausgeklügelt‘ Buch. Ich bin ein Mensch mit seinem Widerspruch!“
Politiker müssen die weiße Weste haben, egal, was irgendwo versteckt ist. Also hoffentlich ist es bei den christlichen Heiligen nicht so. Also diese Spannung in der Person, die muss man aushalten. Wenn man die Heiligen betrachtet, dann sind das ja keine so einförmigen Personen. Wenn ich jetzt denke, der Heilige Augustinus, durch welche Irrungen und Wirrungen der seinen Weg gefunden hat, die Heilige Edith Stein, die sagt, ich war überzeugte Atheistin und habe dann irgendwie zum Glauben gefunden. Also diese Dynamik, die darf es schon haben. Aber ich finde ganz schön, dass man sich auch an den Heiligen so ein bisschen reiben und stoßen kann, Dass die nur auf dem Podest stehen und nur alles im hellsten Licht und dann kommt ja der nächste Schritt: und ich als armes Menschlein so vieles im Dunkeln. Das wäre auch nicht gut.
In der Erzdiözese Freiburg steht demnächst eine Seligsprechung an. Dieser Akt kann der erste Schritt auf dem Weg zur späteren Heiligsprechung sein. Selige werden in einer bestimmten Region verehrt; Heilige dann von der ganzen weltweiten Kirche. Am 17. November wird im Freiburger Münster der Priester Max Josef Metzger seliggesprochen. Eine schillernde Persönlichkeit mit vielen verschiedenen Interessen, geboren 1887 im südbadischen Schopfheim. Eine Expertenkommission hat in den letzten Jahren in einem aufwändigen Prozess seine Biografie durchleuchtet und sämtliche seiner Veröffentlichungen gesichtet. Mit ausschlaggebend für den Antrag auf eine Seligsprechung war Metzgers pazifistisches Engagement. Nach seinen Erfahrungen als Seelsorger im 1. Weltkrieg ist der Weltfrieden zu einem seiner großen Lebensziele geworden. Denn …
… es kann nicht sein, dass die Menschen sich bekriegen. Wir müssen alles tun, damit das aufhört. Und das wird natürlich ganz virulent im Nationalsozialismus. Er hat einen Weltfriedensbund gegründet. Er hat evangelische Pastoren zum Friedensgespräch eingeladen, aber er ist natürlich dann auch angeeckt …
… und letztlich sind seine Friedensbemühungen verraten worden. In einem Schauprozess vor dem Volksgerichtshof wird Max Josef Metzger als Hochverräter zum Tod verurteilt und im April 1944 in Berlin hingerichtet. So wird er zum Blutzeugen, der für seinen Glauben mit dem Leben bezahlt.
Für ihn war Christkönig das Fest, was zeigt: Christus allein ist König. Wenn ein Diktator kommt und sagt: Ich bin der Allherrscher, kann das gar nicht sein, denn Christus ist König. Also ein sehr widerständiges Konzept: Ich mache keine Kompromisse mit einem Diktator, das finde ich schon sehr beeindruckend.
Dem Kirchenmusiker Meinrad Walter gefällt noch eine andere Facette im Leben des designierten Seligen: Max Josef Metzger hat nämlich auch volkstümliche Kirchenlieder geschrieben und sie mit Hilfe von befreundeten Komponisten mehrstimmig vertont:
Auch wieder was fast Lutherisches: Die Gemeinde soll doch selber singen. Die Gemeinde soll die Texte der Liturgie singen, nicht nur zuhören, wie andere singen. Das muss man doch hinkriegen. Da braucht man die deutsche Sprache, und der Kirchenchor soll denen endlich mal vorsingen, und dann stimmen die ein und dann lernen die das ganz.
Meinrad Walter ist deshalb auch nicht abgeneigt, den designierten Seligen in seine ganz persönliche Heiligenriege aufzunehmen. Ein Bild dieser illustren Schar hängt über seinem Schreibtisch: Darauf die Heilige Cäcilie, der biblische Psalmendichter und Harfenist David, die Kirchenmusiker Bach und Palestrina. Und daneben nun womöglich bald der selige Max Josef Metzger als Patron der dilettantischen Hobbykomponisten und Amateurmusikerinnen. Ein sehr sympathisches Ensemble!
Foto: Meinrad Walter vor einem musikalischen Heilgenbild von Sieger Köder.
Copyright: Amt für Kirchenmusik der Erzdiözese Freiburg