SWR3 Gedanken
Tränen sind ja oft ganz leise. Aber der Holocaust-Überlebende Elie Wiesel erzählt von zwei Tränen, die ganz anders sind. Sie sind laut. Ohrenbetäubend laut.
In einer Rede erzählt Elie Wiesel eine jüdische Geschichte. Sie handelt davon, dass es dem Volk Gottes schlecht geht, alle leiden. Und als Gott das sieht, muss er weinen. Er weint zwei Tränen; die beiden Tränen fallen in den Ozean. Dabei machen sie einen solch ohrenbetäubenden Lärm, dass die Menschen es vom einen Ende der Welt bis zum anderen hören.
Elie Wiesel verbindet diese Geschichte mit dem, was er im Holocaust erleben musste: „Vielleicht hat Gott mehr als zwei Tränen vergossen, als er die Tragödie seines Volkes in unserem Jahrhundert erblickte. Doch aus Feigheit haben die Menschen sich die Ohren zugehalten.“
Das Leid der Menschen in den Konzentrationslagern muss unendlich und unerträglich gewesen sein. Ich kann die Bilder aus dieser Zeit immer noch kaum aushalten Es ist furchtbar zu sehen, dass da etwas passiert ist, was schlimmer, grausamer und ungerechter nicht sein kann. Wie konnten die Menschen damals weghören? Wie konnten sie diesen schrillen und tosenden Lärm ausblenden? Elie Wiesel sagt, die Menschen waren feige – zu feige, um hinzuschauen und sich berühren zu lassen.
Bin ich auch feige? Bei den ganzen Nachrichten halte ich auch oft die Ohren zu. Denn es ist einfacher den Lärm auszublenden, den sie ja eigentlich in mir drin machen. Aber – Elie Wiesel hat Recht - es ist feige. Und der Preis für diese Feigheit: Menschenleben.
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