SWR1 Begegnungen

01NOV2024
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Annegret Lingenberg Foto: Gerhard Krämer

Wolf-Dieter Steinmann trifft Annegret Lingenberg, Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Die erste Pfarrerin in Baden „im Ehrenamt“ ist auch Oblatin einer evangelischen Kommunität. Sie lebt als evangelische Frau nach der Regel des „Heiligen“ Benedikt. „Bete und arbeite“ überzeugt sie. Warum? Weil es zu ihr passt. Eine evangelische Heilige habe ich nicht getroffen. Aber sie ist überzeugt, dass wir mit dem Heiligem in Berührung kommen. Beim Beten und Arbeiten, also im Leben. Nicht erst danach. Annegret Lingenberg, inzwischen über 80, hat einen spannenden Lebensweg. Mit fast 60 ist sie noch Pfarrerin geworden, im Ehrenamt. Trägerin des Bundesverdienstkreuzes. Heilig ist für sie: Gott kommt ins Spiel.

Gott kann mir überall begegnen, also wenn ich zum Beispiel hier ein Begleitgespräch habe oder ein Seelsorgegespräch, das kann zum heiligen Ort werden, wenn hier spürbar Gott dabei ist. Und das ist geschieht nicht selten. Ja, ich würde sagen, es kann jeder Ort heilig werden.

 Und Menschen, die dort sind. Wobei, in der Bibel erschrecken die meisten, wenn sie vom Heiligen berührt werden. Weil das ins Leben greift.

Es wäre nicht normal, das zu wollen. Insofern bin ich auch sehr zurückhaltend, etwa zu behaupten, ‚ich will heilig werden‘. Wenn Gott mich anrührt, dann hmm; ich nehme es an und gehe damit um, aber ich strebe nicht danach.

Gott kann berühren: Mich, Sie, viele. Wichtig ist Annegret Lingenberg, dass man bei „heilig“ nicht zuerst an Moral denkt. Sie spürt das Heilige oft in einer evangelischen Kommunität in Franken. Sie lebt dort nicht fest, sondern ist Oblatin; heißt:

Ein Mensch, der sich Gott darbringt, und zwar ganz konkret, indem er sich bindet an eine benediktinische Kommunität, um zusammen mit den Schwestern, den Brüdern dieser Kommunität, diesen Weg zu gehen. In dieser Weggemeinschaft für Gott verfügbar zu sein.

Mindestens zwei Dinge an der Regel des Benedikt haben sie überzeugt. Es geht wirklich um das Miteinander mit Christus, als getaufter Christ. Und das unglaublich realistische und menschliche Maß: Es gab ja vorher auch schon Klosterregeln, die viel fordernder und viel rigider waren. Er setzt einfach voraus, was ein Mensch normalerweise leisten kann und was nicht, und verlangt nicht irgendwelche asketischen Purzelbäume.

„Bete und arbeite.” Das Gute ist, diese Regel hält beides im Gleichgewicht. Arbeit ist nie wichtiger als das Gebet. Nur arbeiten ist nicht Sinn des Lebens. Man braucht Quellen zum Leben und Zeiten, in denen man zu ihnen kommt. Tief prägend hat sie das erlebt vor Jahren, bei einer Schweigewoche in der Kommunität.

Ne Gemeindesituation, die mich sehr beschäftigt hat. Zum anderen eine Krebserkrankung. Das hab ich dann in so ner Schweigewoche durchgearbeitet und durchlebt. Und dann wieder rausgefunden, mit einem Ja zum Weitergehen. Es gibt durchaus mystische Momente, die man da erleben kann.

Ihre “Lieblingsheilige” ist Teresa von Avila. Die ist erst heilig geworden, nachdem sie aufgehört hatte, es sein zu wollen.

Die liebe ich heiß und innig. Sie war eine sehr kluge Frau, mystisch veranlagt und sie hatte viel Humor und sie hatte eine unglaublich gute Art, mit Menschen umzugehen.

Annegret Lingenberg fände schön, wenn sie das auch so könnte. Sie probiert es.
Annegret Lingenberg strahlt unaufdringliche Freundlichkeit aus. In ihrer Diele begrüßt mich ein Ikonengemälde, Thema: Gastfreundschaft. Geprägt ist sie von der Ordensregel des heiligen Benedikt: “bete und arbeite” und eng verbunden mit einer evangelischen Kommunität in Franken. Dort kann sie Heiliges spüren.

Weil sie eine sehr schöne Liturgie feiern und weil man in den Gottesdiensten wirklich etwas spürt von der Heiligkeit Gottes, um den es geht. Und ich glaube, es kommt von selber, dass auch in den Gottesdiensten, die ich feiere, ein bisschen durchscheint von der Heiligkeit Gottes und von meiner Ehrfurcht vor dem, was ich da mache.

Die zweite Säule, “arbeiten”, das ist für sie bis heute, mit über 80: Seelsorge. Menschen begleiten auch in Tiefen. Leben geistlich verstehen. Gott darin entdecken und gute Wege finden. Sie hat oft erfahren: Arbeiten und beten brauchen einander.

Die Psalmen umfassen ja so unendlich viel. Der ganze Hass, die ganze Gewalt und alles, was uns heute im Augenblick so aufregt, kommt ja alles schon, in den Psalmen vor. Indem ich Psalmen bete, bin ich mittendrin in dieser Welt, die ich vor Gott bringe.

Ja, es ist gut, dass man das Heilige ersehnen kann, erbeten. Und arbeiten? Mir ist auf einmal Oskar Schindler eingefallen, der in seiner Fabrik über 1000 jüdische Menschen vor den Nazis gerettet hat. Schindler: Lebemann, Spion, kein klarer Charakter. Bis zu dem Tag, als er gesehen hat, was die Nazis verbrechen. Ab da haben die Schindlers alles drangesetzt, jüdische Menschen zu retten. Sind sie so was wie weltliche Heilige?

Ich würde jetzt nicht sagen, also ja, ja, natürlich auch ein Heiliger, aber ich denke, Gott hat ihn auch als Werkzeug benutzt. Und er nicht mehr an Eigenes dachte, sondern wirklich an diese Unmenschlichkeit. Und vielleicht ist es ne Gottesberührung gewesen, dass er erkannt hat.
Sind Gottes Geschöpfe, mit denen kann man so nicht umgehen. Und wenn man es tut, ist es ganz furchtbar und man muss was dagegen tun.

Ich finde Oskar Schindler inspirierend. Er war nicht der Typ „moralisch gut”. Aber er hat sich aufrütteln lassen. Vielleicht sollten wir auch heute andere nicht zu schnell „moralisch“ festlegen.

Es ist für mich eben nicht das ethische Handeln Grund der Heiligkeit, sondern in der umgekehrten Reihenfolge: Angerührtsein von Gott wird sich äußern. Dann packt man an oder man geht und hilft. Und das ergibt sich oft mehr von selber. Ich glaube, manche Menschen, die uns so vorkommen, als seien sie wirklich kleine Heilige, die würden sehr erstaunt gucken, wenn man ihnen sagen würde, also ich finde, dass du heilig bist. Wahrscheinlich würden sie sagen: ‘Öh’.

 Wenn man heilig angerührt wird, kommt es wohl darauf an, dass die Emotion nicht verweht, sondern Hand, Kopf und Fuß kriegt. Dass man nicht hasst oder resigniert. Annegret Lingenberg hat noch ein überraschendes Wort dafür.

Angerührt werden von Gott kann man sich vielleicht so vorstellen, als würde man angesteckt. Er berührt mich und steckt mich an mit seiner Heiligkeit.

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