SWR Kultur Wort zum Tag

30OKT2024
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„Der Ort, an dem wir recht haben.“

So hat der israelische Schriftsteller Jehuda Amichai eines seiner Gedichte überschrieben.* 
Vor hundert Jahren hat er in Würzburg das Licht der Welt erblickt. Er floh als Zwölfjähriger – 1936 - mit seinen Eltern vor den Nazis nach Palästina. Jehuda Amichai hat am seinem eigenen Leib erlebt, wie Unrecht Menschen verletzten kann. Und auch, dass Rechthaberei oft ins Unglück führt. In seinem Gedicht schreibt er:

„An dem Ort, an dem wir recht haben, / werden niemals Blumen wachsen – ... /
Der Ort, an dem wir recht haben, ist zertrampelt und hart wie ein Hof.“

Jehuda Amichai führt die zerstörerischen Konsequenzen von „recht haben“ vor Augen. Recht haben wollen – auf Teufel komm raus – das kann in einer Wüstenei enden. Da wächst kein Gras mehr. Wie verheerend ist das! So können Streitereien im Familien- und Freundeskreis enden. So kann es im Straßenverkehr zugehen, wenn jemand auf seiner Vorfahrt beharrt und einen Totalschaden provoziert! Und das gilt auch für Konflikte, die mit Waffengewalt ausgetragen werden.

Gibt es einen Ausweg? Jehuda Amichai markiert ihn in der zweiten Hälfte seines Gedichtes:

„Zweifel und Liebe aber / lockern die Welt auf / wie ein Maulwurf, wie ein Pflug.
Und Flüstern wird hörbar / an dem Ort, wo das Haus stand, / das zerstört wurde.“

Verhärtungen und leblose Situationen aufbrechen, „die Welt auflockern“ – mit „Zweifel und Liebe“ – was für eine besondere Kombination ist das!

Für mich ist Jesus von Nazareth einer, der diesen Weg vorausgegangen ist. Auch den der Zweifel und der Selbstkritik: Als eine „Ausländerin“ zu ihm kam und bat, er möge seien Tochter heilen, da antwortete er barsch: »Ich bin nur für die Menschen in Israel da.« Er hat sich dann von dieser Fremden eines Besseren belehren lassen und hat sein Vorurteil aufgegeben. Er hat auf ihr Bitten hin, ihre Tochter geheilt. (Mt 15,21-28)

Seine Liebe leuchtet in besonderer Weise gerade in Konflikten. Jesus hat propagiert: Schlagt nicht gleich zurück! Gebt nach! Und geh mit dem mit, der dich darum bittet. Sogar doppelt so weit wie er es von dir verlangt. Auf der doppelten Länge kann auch Verständigung entstehen. So können, wie Jehuda Amichai es sagt, Zweifel und Liebe zum Humus werden für neues Leben. Und: Eine verschlossene Tür kann sich auftun.

*Jehuda Amichai (1924 - 2000) in dem Gedichtband „Zeit“, Frankfurt M. 1998

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40951
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