SWR Kultur Wort zum Tag

29OKT2024
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Ein alter Bauernhof in Mecklenburg-Vorpommern. Er ist schon lange unbewohnt und nicht mehr bewirtschaftet. Einsturz gefährdet. Und dann kommt der Tag – und das Anwesen wird abgerissen.

Wenn Walter Green davon rechtzeitig erfährt, ist er zur Stelle. Er will die alten Eichenbalken aus dem Abrissschutt retten. Die nimmt er dann mit in seine Werkstatt. Er bürstet und schleift sie. Die Spuren der Holzwürmer bleiben. Auch die, die noch im Holz tätig sind. Das will er so. An manchen Stellen werden die Balken auch poliert. So entstehen aus alten Eichenbalken Holzskulpturen: mit Rissen und Kanten und Aussparungen. Manche versieht er mit sparsamen Farbakzenten. Gold oder kobaltblau.

Bei einer Ausstellung seiner Werke hat Walter Green einmal erzählt, wie sehr ihn diese Balken faszinieren. Er hat sagt: „In dem Augenblick, wo sie in meine Hände kommen - da spüre ich so etwas wie »Ewigkeit«.“
Er hat das so erklärt: So ein alter Balken, den er in die Hände bekommt, in dem steckt eine lange Geschichte, mit besonderen Ereignissen. Als die Eiche gepflanzt wurde, hat Luther in Wittenberg die Reformation der Kirche gefordert. Als der Baum gefällt wurde, 300 Jahre später, kann sein, da war Napoleon gerade mit seinem Heer unterwegs nach Osten. Und seit der gesägte Balken in der Scheune verbaut wurde, sind wieder 200 Jahre vergangen.

Jetzt ist der Eichenbalken in seine Hände geraten. Der uralte Balken, der so besondere Momente der Geschichte in sich birgt, der wird zum Material für Neues. Für eine Skulptur.
Für ihn, sagt Walter Green, wird da »Ewigkeit« greifbar und spürbar.

Mich hat das beeindruckt. Und ich habe daran für mich entdeckt: Ewigkeit ist zum einen offenbar eine lange, lange Zeit. Doch erfahrbar wird ihre Länge durch herausragende Momente und Ereignisse. Und so erfahre ich das auch in meinem Leben.

Es gibt Momente und Augenblicke, die kommen mir wie vor wie eine Ewigkeit.
Man sagt ja manchmal auch: Das hat eine Ewigkeit gedauert. Und dabei waren es nur ein paar Minuten. Die gemessene Zeitdauer spielt dabei nämlich keine Rolle.
Es sind die besonders intensiv aufgeladenen Momente im Leben – die machen eine erlebte Zeit zur Ewigkeit. Also: einschneidende Ereignisse - private oder auch politische.
Erlebnisse voller Freude und Glück - oder auch voller Schmerz und Enttäuschung.

Wo Ewigkeit so in die Zeit hineinleuchtet*, wird das Leben hell – und ist das mehr als nur eine lange Zeit, die vergeht.  

* Das Bild stammt aus einem Lied von Marie Schmalenbach, EG 680,4 (württ. Ausgabe).

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40950
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