SWR Kultur Wort zum Tag
Ich stehe im feuchten Novemberniesel auf dem Bahnsteig und warte so vor mich hin. Ein paar Gleise weiter steht eine Rangierlok. Mein Blick bleibt an ihr hängen, weil sie ein bisschen Zerstreuung bietet. Sie fährt auf einmal oben auf dem Dach diesen Bügel aus. Als er die Oberleitung berührt, da zischt´s und funkt´s ordentlich, und dann fährt die Lok los, weil sie mit dem Stromnetz verbunden ist.
Ich schaue gleich mal nach, wie das Ding da auf dem Dach heißt. „Pantograph“ zeigt mein Handy an. Der Pantograph drückt gegen die Oberleitung und nimmt den Strom für die Lok ab.
„Unnützes Wissen“, könnte man meinen. Mir fällt aber auf, dass dieses Wort „Pantograph“ so ähnlich klingt wie „Pantokrator“. So nennt man Darstellungen von Jesus – meistens in Kirchenkuppeln oder auf Ikonen, wo er wie ein König dasitzt – meistens mit viel Gold gemalt.
Vielleicht auch unnützes Wissen - aber ein witziger Zufall oder eher eine Wortverwandtschaft. Und gleichzeitig fallen mir noch mehr Parallelen ein zwischen Pantograph und Pantokrator oder eben zwischen Oberleitung und Gott: Viele Menschen sehnen sich nach Gott, nach Ruhe, nach etwas, das sie trägt oder das sich nicht genau beschreiben lässt. Wenn ich diese Sehnsucht spüre, oder auch wenn ich ein Stoßgebet zum Himmel schicke, dann ist das, wie wenn ich Kontakt suche, mich nach oben ausstrecke. Vielleicht hoffe ich auf eine Art Oberleitung, die ich anzapfen kann und die mir dann Power oder Frieden gibt.
Und dann ist da die Oberleitung, der Oberboss, der sich über mein Leben beugt, um in meine Nähe zu kommen. Mal lässt er´s funken, und mal gibt er mir einen Schub. Und wenn die Verbindung gekappt wird, dann geht manchmal auch gar nichts mehr.
Deshalb ist es gut, diese Verbindung nach oben zu pflegen. Etwas Öl und Wartung für den Pantographen, oder etwas Zeit, Zuwendung und Zwiesprache mit dem Pantokrator. So, dass die Energie wieder fließen kann.
Das hat schon der Prophet Jeremia formuliert. In seinem biblischen Buch legt er Gott diesen Satz in den Mund, der so viel verspricht: „Sucht ihr mich, so findet ihr mich. Wenn ihr von ganzem Herzen nach mir fragt, lasse ich mich von euch finden“. (vgl. Jer 29, 13)
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