SWR4 Abendgedanken
In der Nacht vom 6. auf den 7. Oktober haben Unbekannte alle Stolpersteine, die es in der Stadt Zeitz im Burgenlandkreis gab, aus dem Boden gerissen und gestohlen. Stolpersteine gibt es in vielen Städten. Die mit Messing überzogenen Pflastersteine erinnern an Menschen, die während der NS-Zeit verfolgt, vertrieben oder ermordet wurden: Jüdinnen und Juden, Sinti und Roma, Menschen mit geistiger Behinderung und viele mehr. Ihre Namen werden in die Steine eingraviert, ebenso das Datum, an dem sie vertrieben oder ermordet wurden. Und dann werden die Stolpersteine im Boden vor den Wohnhäusern verlegt, wo diese Menschen zuletzt gelebt haben. Beim Gang durch die Stadt, stolpert man sozusagen über die gold-glänzenden Erinnerungssteine. Ein kurzes Gedenken. Erinnern. Trauern.
Die Stolpersteine aus Zeitz sind nun weg. Wer auch immer sie gestohlen hat, wollte wohl die Erinnerung an diese Menschen auslöschen, herausreißen aus dem Gedächtnis unserer Gesellschaft. Und, noch dazu, die Angst schüren: Die Tat wirkt brutal. Die Löcher im Boden sehen aus wie Wunden. Und diese hat der oder haben die Täter genau am Jahrestag des brutalen Angriffs der Hamas auf Israel aufgerissen.
Der Antisemitismus nimmt zu. Er wird öffentlich sichtbar. So wie in Zeitz. Mich erschreckt und ärgert das. Es fühlt sich an, als würde die Hamas damit ihrem Ziel, Jüdinnen und Juden zu schaden, nochmal auf ganz andere Weise näherkommen.
Auch ich stehe dem, wie Israel im Gazastreifen vorgeht, durchaus kritisch gegenüber. Jedes Leiden, das Menschen einander zufügen, ist falsch. Und ganz sicher nicht von Gott gewollt, egal wie man diesen nennt und auf welche Art man zu ihm betet.
Aber: Die Jüdinnen und Juden, die hier bei uns leben, die womöglich selbst dem, was die Regierung in Israel tut, kritisch gegenüberstehen und deren Glauben doch gar nichts mit Netanyahus Politik zu tun hat. Diese, unsere Mitmenschen, bekommen nun Ablehnung zu spüren. Ihnen soll Angst gemacht werden. Was soll der Unsinn? Jüdinnen und Juden sind Menschen wie Du und Ich. Sie wünschen sich auch nichts anderes, als auf ihre Weise nach Frieden und Glück zu suchen und in Freiheit und ohne Angst zu leben. So wie wir alle auch.
Engagierte Menschen in Zeitz haben den Diebstahl verurteilt und eine Spendenkampagne angeregt, um neue Stolpersteine finanzieren zu können. Schon nach ein paar Tagen ist ziemlich viel Geld zusammengekommen. Das macht mir Mut. Und erreicht hoffentlich auch diejenigen, denen dieser perfide Diebstahl Angst machen sollte. Als Zeichen der Anteilnahme, der Solidarität und der Unterstützung. Angst machen und Zerstören – das darf bei uns keinen Platz haben. Dafür müssen wir jetzt einstehen!
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