Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Meine Familie und ich müssen umziehen. Raus aus dem Haus, das wir in den vergangenen Jahren liebgewonnen haben. Auch wenn ich in meinem Leben schon oft umgezogen bin, dieses Mal fällt es mir wirklich schwer. Und ich merke, dass sich etwas geändert hat, seit ich weiß, dass wir bald Kisten packen müssen. Ich erlebe viele Alltagssituationen auf einmal anders – vielleicht liegt es daran, dass ich älter geworden bin. Und zwei Drittel meines Lebens um sind.
Ich spüre, dass ich traurig bin von hier wegzumüssen – und gleichzeitig empfinde ich diese letzten Monate in unserem Zuhause viel intensiver. Ich genieße die Zeit, trinke ausgiebig Morgenkaffee in der Sonne am Fenster, freue mich noch mehr über die Eichhörnchen in den Bäumen gegenüber und schätze es sehr, mit dem Rad über die Herbstfelder zu fahren und ins warme Wohnzimmer zu kommen.
Was ist da passiert? Ich glaube, mir ist zum ersten Mal so richtig bewusst geworden, dass nichts für immer ist - und mein Leben endlich. Der Umzug steht dabei stellvertretend für die Tatsache: Da geht was zu Ende, was doch eigentlich noch so schön ist. Dann denke ich aber auch: Genau so ist es gut! Denn diese Begrenzung zu spüren – das hat meine Sinne geschärft und ich habe das Gefühl, ich lebe und empfinde intensiver. Davon erzählen auch Menschen, die krank sind und definitiv wissen, dass ihre Zeit zu Ende geht.
Manchmal scheint es verlockend darauf zu hoffen, dass ich unsterblich sein könnte oder dass die Forschung mir zumindest ein sehr langes Leben ermöglichen kann. Aber eigentlich möchte ich das gar nicht. Denn ich glaube, damit wäre ich nicht glücklicher. Womöglich wäre es sogar langweilig. Denn, nur weil mein Leben endlich ist, ist jedes Ereignis einmalig und jeder Moment hat seine ganz besondere Schönheit – und andersrum natürlich genauso; der schlimme Schmerz oder das Drama gehören ebenso zur Einmaligkeit. Auch die machen das Leben am Ende reicher – so schwer es auch sein mag. Weil mein Horizont in jedem Fall größer und weiter wird.
Ich werde Vieles vermissen, rund ums Haus und in unserem Dorf. Auch wenn wir nur ein paar Jahre hier waren. Und deshalb: Bevor wir ein Einzugsfest am neuen Ort feiern, brauche ich dieses Mal ein Auszugsfest. Ich finde, auch zu einem Abschied darf man zusammenkommen; und das nicht nur bei einer Beerdigung. Ich möchte mit Nachbarn und Freunden das Ende würdigen, die Zeit, die wir hier waren und dabei auch ein bisschen traurig sein dürfen.
https://www.kirche-im-swr.de/?m=40919