Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Stellen Sie sich mal folgende Schlagzeile in unseren Tagen vor.
Straffälliger mit Migrationshintergrund wird in hohes Ministeramt berufen –
Ich möchte gar nicht wissen, wie viele Hasskommentare auf Social-Media sie nach sich ziehen würde. Mit großer Wahrscheinlichkeit würde die Frage gestellt, ob solche Posten nicht mehr mit unbescholtenen Fachleuten deutscher Herkunft besetzt werden können.
In einer Geschichte aus der Bibel, die vor ungefähr 3000 Jahren spielt, war das wahrscheinlich auch so. Sie handelt von einem jungen Mann namens Josef. Josef ist von seinen Brüdern aus Rache als Sklave nach Ägypten verkauft worden. Er ist jetzt ein Ausländer ohne Rechte und landet dann auch noch wegen eines ihm angedichteten Sexualdelikts im Gefängnis. Dort bleibt er aber nicht lange, denn er tut sich nicht nur durch gute Führung, sondern auch durch offenkundige Weisheit hervor. Der Pharao, der König von Ägypten, wird auf ihn aufmerksam, und nachdem Josef dem Regierungschef auch desen dunklen Träume erklären kann – in ihnen hatte sich eine Hungernot angedeutet - , legt er ihm ein äußerst schlüssiges Haushaltskonzept vor. Daraufhin wird Josef kurzerhand zum Superminister ernannt. Mit seinen Vorschlägen geht Ägypten gut aufgestellt in bevorstehende Krisenzeiten. Josef setzt durch, was ganz sicher auch damals nicht besonders populär war: In wirtschaftlichen Blütezeiten wird ein Teil des Bruttoinlandsprodukts für Phasen der Rezession zurückgelegt. In der Bibel hört sich das so an: „Sorge in den 7 guten Jahren dafür, dass für Nahrung gesorgt sei in den 7 Jahren des Hungers…
Der Pharao hat die Freiheit und die Weisheit, seine Personalentscheidungen nicht nach Herkunft oder Lebenslauf, sondern nach Kompetenz und Persönlichkeit zu treffen.
Respekt! Solche Entscheidungen wünsche ich mir auch heute. Es braucht Verantwortungsträger, die Menschen aufgrund ihrer Kompetenz eine Chance geben, auch wenn sie, wie Josef, einen scheinbaren Makel in ihrem Lebenslauf haben.
Dass es das gibt und immer wieder gab, ist unbestritten. Aber es gibt eben auch das Andere. Ja, ich kenne Menschen, die aufgrund ihrer Herkunft oder Ihrer Vorgeschichte gar keine Chance bekommen haben.
Und noch schlimmer: dass Menschen aufgrund ihrer Religion und Herkunft 86 Jahre nach der Reichspogromnacht wieder vermehrt Angst um ihr Leben haben müssen, ist schlicht beschämend.
Die Volkswirtschaft in Ägypten hat aufgrund von Josefs Weisheit überlebt. Weil er eine Chance bekam. Ich glaube, nur als Chancengeberland haben wir auf Dauer eine Zukunft. Die sollten wir nicht leichtfertig verspielen.
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