Anstöße SWR1 BW / Morgengedanken SWR4 BW
Mir gegenüber sitzt ein Mann, Ende 50. Graumeliertes Haar, leuchtende Augen. Er spricht mit klarer, aber bewegter Stimme.
Vor ein paar Tagen ist sein Vater gestorben. Mit 92 Jahren. Gemeinsam bereiten wir nun die Beerdigung vor.
Es ist eines dieser Trauergespräche, das mir in Erinnerung bleiben wird. Weil offen geredet wird. Vom Leben des Verstorbenen, in dem es durchaus auch sehr schwierige Zeiten gab: den Krieg, die Flucht, den Neustart im Schwabenland auf einem Gutshof, der mit viel Misstrauen dem Fremden gegenüber verbunden war.
Auch die Schwächen des Vaters wurden benannt. Und da gab es einige.
Aber dann dieser eine Satz:
„Aber wenn ih mir nomal an Vaddr aussucha dürft, ich würde genau den nomal nemma.“
Ich kann mir keine schönere, keine versöhnlichere Aussage vorstellen, die ein Kind gegenüber einem Elternteil formuliert.
Wie kam es dazu?
Ich glaube, da wusste ein Vater, dass das Wichtigste, was Eltern ihren Kindern entgegenbringen können, das Vertrauen ist und die Großzügigkeit
Nicht schimpfen und enttäuscht sein, wenn eines der vom Vater liebevoll zusammengebauten Modellflugzeuge mal wieder in einem Baum hing. Nein, dann vielmehr gemeinsam alles geben, um das Malheur zu beheben, sich zuhause in der Werkstatt an die Reparatur machen.
Dem Sohn dabei zeigen, wie es geht, und es ihn dann auch selber machen lassen.
Um es dann wieder fliegen zu lassen, bis zum nächsten Sturzflug.
Ja, weil er Abstürze akzeptiert hat, nicht nur beim Modellfliegen, und weil er gemeinsam mit dem Sohn immer Wege gesucht und gefunden hat, wie es weitergehen kann.
Ich glaube, deshalb würde der Sohn sich genau diesen Vater nochmal aussuchen.
Ich frage mich, ob meine Kinder das von mir auch sagen würden. Ganz sicher bin ich mir nicht.
Weil auch zwischen uns nicht alles immer gut gelaufen ist und es manche Abstürze gegeben hat.
Aber auch wir haben miteinander erlebt, dass man Dinge reparieren kann. Ja, sogar, dass Vertrauen wieder wächst.
Auch weil das so ist, kann ich heute sagen, auch mit klarer und etwas bewegter Stimme:
„Wenn ich mir mein Leben nochmal aussuchen könnte, ich glaube, ich würde genau dieses nochmal nehmen.“ Weil ich dankbar bin.