SWR Kultur Wort zum Tag

26OKT2024
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Es gibt so Tage, da frage ich mich am Abend: Was habe ich heute eigentlich geschafft? Vieles von dem, was ich mir vorgenommen habe, konnte ich nicht erledigen, weil ständig etwas dazwischengekommen ist. Oder ich habe viel Zeit und Arbeit in ein Projekt gesteckt und ich beginne zu zweifeln, ob es sich überhaupt lohnt. Wenn solche Tage und solche Projekte sich häufen, dann frage ich mich auch, wozu das Ganze überhaupt?

Es gab eine Zeit, da hat mich diese Frage sehr belastet. Und da bin ich auf ein Gedicht von Hilde Domin gestoßen, das mich unheimlich getröstet hat. Es beginnt mit den Zeilen:

„Wie wenig nütze ich bin,
ich hebe den Finger und hinterlasse
nicht den kleinsten Strich
in der Luft.“[1]

Das Gedicht greift meine Stimmung auf, nichts bewirken zu können und beschreibt dann in poetischen Worten das Gefühl, dass ich keine Spur hinterlasse, wenn ich mal nicht mehr da sein werde. Da fühle ich mich gut verstanden.

Aber Hilde Domin bleibt dabei nicht stehen, sondern spricht einen Gedanken aus, der etwas verändert. Bei allem, was ich mache, könnte vielleicht doch etwas von mir bleiben: der Ton meiner Stimme, mein Lachen und meine Tränen und ein paar meiner Worte. Vielleicht bleiben sie in den Menschen, denen ich begegne. Und so endet das Gedicht mit Worten, die mich trösten. Hilde Domin schreibt:

„Und im Vorbeigehen,
ganz absichtslos,
zünde ich die ein oder andere
Laterne an
in den Herzen am Wegrand.“

Die Worte trösten mich nicht nur, sie geben mir auch eine neue Perspektive. Sie lenken meinen Blick auf die Menschen, die mir begegnen. Vielleicht gerade auch auf die, die mich an manchen Tagen gehindert haben, mit meinen Sachen fertig zu werden. Oder die, mit denen zusammen ich etwas bewirken möchte.

Ich hoffe, dass ich ganz absichtslos die ein oder andere „Laterne in ihren Herzen angezündet habe“, wie es Hilde Domin nennt. Und mir fallen Menschen ein, die in meinem Herzen immer wieder Laternen anzünden. So ganz nebenbei, indem wir zusammen an etwas arbeiten, gemeinsam lachen oder auch verzweifeln. Und uns Worte sagen, die wir in diesem Moment brauchen: wie z.B. „Gemeinsam kriegen wir das schon irgendwie hin“ oder „Ich finde, du hast es richtig gut gemacht.“

Ich mag Gedichte von Hilde Domin. Ihre Worte zünden immer wieder die ein oder andere Laterne auch in meinem Herzen an.

 

[1] Hier und im Folgenden zitiert aus: Hilde Domin, Gesammelte Gedichte, Frankfurt am Main 1987, S.30f. Das Gedicht in voller Länge ist aber auch vielfach im Internet zu finden.

https://www.kirche-im-swr.de/?m=40902
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