SWR Kultur Wort zum Tag

24OKT2024
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Sie gehen an Schulen und sprechen mit Jugendlichen über den Nahostkonflikt. Sie, das sind eine Palästinenserin und ein Jude. Genauer: Jouanna Hassoun, eine Deutsch-Palästinenserin und Shai Hoffmann, ein deutscher Jude mit israelischen Wurzeln. Die beiden können miteinander über dieses schwierige Thema sprechen, auch wenn sie unterschiedliche Perspektiven auf den Konflikt haben. Und sie sind überzeugt, dass es gut ist, wenn Jugendliche miteinander über dieses Thema ins Gespräch kommen. Das Projekt heißt „Trialog“ und Shai Hoffmann ist es wichtig, dass die Jugendlichen sich trauen, alles zu sagen, was ihnen auf der Seele brennt. Keiner soll Angst haben, seine Meinung zu äußern oder in eine Ecke gestellt zu werden.

In einem Raum, in dem alle die gleichen Erfahrungen teilen, ist es einfacher, über so ein emotionales Thema zu sprechen. Aber solch einen „safe space“, einen sicheren Rahmen, will das Projekt bewusst verlassen. Das Projekt „Trialog“ möchte einen „braver space“, einen „mutigeren Raum“, eröffnen. Und es braucht tatsächlich Mut, die eigene Position zu vertreten, wenn nicht zu erwarten ist, dass alle nur zustimmen. Es braucht auch Mut, zuzugeben, wo man bei diesem schwierigen Thema unsicher ist, was man denken soll oder darf. Kann ich z.B. Israel kritisieren, ohne antisemitisch zu sein? Darf ich fragen, was daran falsch ist, sich zu verteidigen, wenn man angegriffen wurde? Genauso herausfordernd ist es aber auch, sich gegenseitig zuzuhören und die Gründe zu erfahren, warum der eine die Sache so, und die andere sie anders sieht. Und es braucht Mut, die Gefühle zuzulassen, die in einem solchen Raum entstehen.

Was Jouanna Hassoun und Shai Hoffmann Hoffnung macht, ist, dass die meisten Jugendlichen sich auf dieses Experiment einlassen. Sie freuen sich, wenn die Jugendlichen sich einander nähern, indem sie einander zuhören und den gegenseitigen Schmerz anerkennen. Die beiden wollen verhindern, dass die Gesellschaft auseinanderbricht. Das motiviert sie.

Mir machen solche Projekte Hoffnung, weil auch ich nicht will, dass unsere Gesellschaft auseinanderdriftet. Und ich frage mich, wo ich mutiger nach Gelegenheiten suchen sollte, um mit Leuten ins Gespräch zu kommen, die bei emotionalen gesellschaftlichen Themen eine andere Meinung haben. Spontan fällt mir da ein Kollege ein. Immer wieder irritiert mich, was er zum Thema Migration in seinem Status postet. Bisher habe ich es vermieden, ihn darauf anzusprechen. Aber jetzt habe ich mir fest vorgenommen, ihn zu fragen, wie er das genau meint. Ich will ihm zuhören und versuchen, seine Gründe zu verstehen. Und natürlich werde ich ihm auch meine Meinung sagen. Dazu brauche ich Mut, aber ich glaube, es lohnt sich.

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